MIST WETTER

 Tabriz, 12. 03. 09

Heute habe ich wagemutige 135 km vor mir. Erstmals seit acht tagen scheint nicht die sonne. Der wind ist kaum spürbar. Es sieht nach regen aus. Die mich tagelang in gebührendem abstand begleitenden berge rücken immer näher heran. Aber die straße bleibt noch flach.

Hier werden noch schafe gehütet, aber auch rinder. Das land scheint fruchtbarer. der boden lehmig. Alte häuser sind aus lehm, neuere aus ziegeln gemauert. Viele obstbäume sehe ich. Manche werden jetzt erst geschnitten. Auf vielen feldern arbeiten bauern. Alle mit traktoren. Hier pflügt niemand mehr mit esel oder pferd.

Mittags setzt der regen ein. Zunächst so schwach, dass ich regenhose und überschuhe noch nicht anziehe. Aber er wird immer stärker.

Zwischendurch eine gedenkminute mit foto: 10.000 km bin ich jetzt genau auf der reise geradelt.

Die nächsten 40 km fahre ich durch strömendem regen. Die berge sind jetzt ganz nah. Immer häufiger fließen bäche und kleine flüsse unter der straße hindurch. Das wasser ist sandig braun. Noch sind die berge um mich herum aus rot-braunem sandstein. Aber vor mir im düsteren regenhimmel ahne ich ein viel höheres, dunkles gebirge.

Etwa 15 km vor Mianeh der erste tunnel. Zwar eng, aber nicht mal 150 m lang und beleuchtet. Ich komme ungefährdet durch. Der zweite ist fast 800 m lang, schlechter beleuchtet und macht eine kurve, so dass ich sein ende erst spät erkennen kann. Ich fahre mit licht. Aber was nützt das, wenn die lastzüge laut hupend heranrasen und mir keinen platz lassen können, weil ihnen auch lastzüge entgegen kommen? Ich fahre ganz eng an die tunnelwand. Dort ist die straße aber voller steine und gerümpel, gar nicht mehr asfaltiert. Ungesicherte öffnungen fürs oberflächenwasser tun sich vor mir auf. Ich muss halten, bis der nächste lkw vorbei ist. Beim versuch, ganz rechts weiter zu kriechen, streift meine rechte vordertasche den felsen. Ein haken hängt sich aus. Wieder muss ich anhalten. Ein bus dröhnt mir sein horn ins ohr und spritzt mich voll, weil hier eine pfütze im tunnel steht. Durch meine verschmutzten brillengläser kann ich kaum noch was sehen. Noch zwei, drei pkw, die mich überholen. Dann sehe ich licht. Gott, wie bin ich froh, dass ich das heil überstanden habe. Gleichzeitig mag ich mir nicht ausmalen, wie viele solcher oder vielleicht noch schlimmerer tunnel ich bis zum Schwarzen Meer wohl noch vor mir habe.

In einem viel engeren flusstal geht’s weiter langsam hoch richtung Mianeh. Jetzt bin ich umgeben von dunkelbraun-grünen felsen. Meist schroffe zackige spitzen, aber auch einige abgerundete kuppen. Die straße wechselt die flussseite. Unter mir im flussbett eine zerstörte brücke. Weiter flussaufwärts ein eisenbahnviadukt. In dem kräftigen regen bei den dunklen wolken ein unwirtliches, drohend wirkendes szenario. Aber unten am flussufer weiden zwei hirten noch ihre kleine schafherde.

Obwohl es jetzt schon dunkel und kälter wird, friere ich nicht. Die regenhose und die frisch imprägnierte jacke lassen nichts durch. Nur meine gore-tex handschuhe sind nicht wasserdicht. Bis zur stadt sind’s immer noch 5 km. Lange kilometer, weil sie ansteigen und der regen mir ins gesicht weht.

An einer mittelalterlichen steinernen brücke, über die bestimmt viele karawanen gezogen sind, fällt mir wieder auf, wie steil früher der brückenbogen geschlagen wurde, genau wie an vielen alten brücken auf dem camino.

Mianeh ist eine langestreckte kleinstadt an der seidenstraße. Es scheint nur ein hotel zu geben. Gut eingerichtet, neue matratzen, moderne waschbecken und toiletten. Trotz allen drecks, den ich mit rein schleppe, werde ich freundlich empfangen, darf mein schmutztriefendes rad im küchenflur abstellen und meine nassen sachen auf die verschiedenen heizkörper verteilen. Nach einer langen heißen dusche bekomme ich  – weil ich dem hackfleisch nicht traue – ein pfanne mit rührei, gebratenen tomaten, zwiebeln, paprika und auberginen, reis, brot und yoghurt. Dafür muss ich dann ganze 3,60 € zahlen.

Morgens ist wieder alles trocken. Die sonne lacht. Überall stehen noch pfützen. Die straßen sind noch voller sand. Die oft unplattierten bürgersteige sind matschig. Frühstück gibt’s keins im hotel, aber in einem nahen laden kann ich brot, käse, marmelade kaufen. Drei läden weiter gibt’s tee und  – wieder – rührei in kleinen pfännchen.

So freundlich strahlend der tag beginnt, so mühselig erschöpfend wird er schließlich. Zunächst wische ich mal den gröbsten dreck von rahmen, bremsen, schaltung und kette meines rades und schmiere die wichtigsten teile. 120 km sind’s nämlich bis Bostanabad. Da darf nichts quietschen oder knarzen. 90 km davon flach oder „valsch platt“ wie die limburger diese kaum sichtbare, aber merklich ansteigenden straßen nennen. An irgendein stück gefälle kann ich mich wirklich nicht erinnern. Die seidenstraße steigt bis etwa 30 km vor Bostanabad stetig leicht an. Das mag ich ja viel lieber als kurze steile anstiege.

Doch dazu den ganzen tag auch noch gegen einen böigen um jeden berg herum wehenden, aus jeder ecke heraus blasenden wind anzukämpfen, das ist wirklich ermattend. Vor allem psychisch. Mehrfach kündige ich in den neun stunden, die ich insgesamt brauche, dem wind meine freundschaft. Aber das scheint ihn nicht zu beeindrucken. Schließlich wird diese etappe vollends zur plage, als ich etwa 30 km vor Bostanabad so weit hoch geradelt bin, dass sich die landschaft wieder weitet, noch mal öffnet. Die steigung endet. Den wind muss ich jetzt aber schon stürmisch nennen. Fast drei stunden brauche ich für dieses letzte stück.

Völlig fertig kehre ich in ein restaurant ein, in dem ich in einem hinterzimmer auch übernachten kann. Nach lammfleisch mit reis ziehe ich nur noch die radklamotten aus. Ohne zu waschen, ohne zähne putzen, krieche ich in meinen schlafsack. Scheiß wind! fluche ich noch einmal, als ich merke, dass die haut an einigen meiner fingerknöchel aufgeplatzt ist.