AN GEKOMMEN

 Köln, 23. 05. 2009

Ein letztes mal zelte ich an der Lahn. Trotz gewitter. Am feiertag besucht Johannes mich in Limburg. Bevor er an seiner diplomarbeit in Kiel weiter arbeitet und ich zuhause ankomme, will er mich mal unterwegs treffen. Nach dem diplom will er auch einige monate reisen, bevor er anfängt zu arbeiten.

Auch er überlegt, ob er richtung osten unterwegs sein will. Kurz probiert er in einer ansteigenden einfahrt mein beladenes rad aus. Das gefährt zu beherrschen ist kein problem. Aber so lange damit unterwegs sein…? Da gefällt ihm die idee einer reise mit der Transsib schon eher.

Am nächsten morgen bin ich rasch in Bad Ems und komme dann zum Rhein. Am fluss entlang käme ich am einfachsten nach Köln/Bonn. Doch ich will nicht den gleichen weg zurück radeln. Darum strampele ich durch die Eifel. Koblenz ist etwas unübersichtlich. Die weitere strecke wird mir immer vertauter. Mayen, Nürburgring, Maria Laach, dann ins Ahrtal. In diesem teil der Eifel war ich vor jahren mehrmals mit dem veloclub.

Immer wieder werde ich belächelt wegen meines schweren gepäcks. Oder zumindest ungläubig gefragt, wo ich denn hin möchte mit all dem zeug. Manchmal ernte ich auch bewunderung. Als eine radler-gruppe, die ihre unbepackten räder zur Abtei Arnstein hoch geschoben hatn, mich oben mit applaus empfängt, werde ich ganz verlegen und verschwinde rasch in die klosterkirche. Den schlagfertigsten kommentar gibt ein an mir vorbei rauschender rheinischer rennradler am nächsten tag ab: „Treckste öm?“ Ich wäre vor lachen fast gestürzt.

Umziehen? Meine rückkehr nach zehn monaten hat schon was  vergleichbares. Wände streichen und möbel schleppen brauche ich nicht. Doch zumindest in der ersten zeit wird vieles  ungewohnt sein. Ich bin gespannt, was sich für mich alles verändert hat. „Was macht Mama nur mit dir, wenn du morgens und abends wieder in deinen taschen kramen willst?“, scherzt auch Johannes über probleme meiner wieder-eingliederung.

Als ich in Mayen einen älteren hausbesitzer morgens früh rasen mähen sehe, fällt mir ein, wie lästig mir solche wöchentlichen pflichten oft waren. Werde ich mich wieder wohl fühlen in einem gepflegten haus mit großem garten? Hoffentlich kann ich mich noch lange erinnern an die unsaubere, feuchte enge der hostels in Istanbul und Teheran, wenn ich wieder hecken schneiden und unkraut jäten soll !

Als ich in Bonn vier verschiedenfarbige mülltonnen vor einem wohnhaus sehe, fällt mir ein, wie übertrieben ich viele reglementierungen hier bei uns finde. Wann werden all die kleinen pflichten und zwänge eines geordneten deutschen alltags mich wieder nerven? Hoffentlich vergesse ich nicht so bald den gestank und das ungeziefer in den straßen von Tirana oder Aleppo, wenn ich wieder altglas und wertstoffe sortieren soll !

Seit monaten fühle ich, dass meine langsame rückkehr, ein guter weg ist, sich wieder an den alltag zu gewöhnen. Meine reisegebiete werden immer europäischer, die lebensgewohnheiten immer vertrauter, die sprache und das essen immer deutscher. Ein großteil der wieder-anpassung erledigt sich schon während der rückreise. Die seele reist eben mit zurück.

Auch die immer wieder aufkommende wehmut, weil meine auszeit nun dem ende zu geht, dass meine frei-zeit nur noch x-wochen dauert, kann ich gut ausleben auf diesem ausgedehnten rückweg. Mir kommen immer wieder die tränen, wenn ich zurück schaue auf die unglaublich schönen und schweren momente meiner reise.

Nicht weil ich traurig bin. Es sind tränen des glücks. Ich habe die außergewöhnliche chance genutzt, mich ein jahr umzuschauen. Dieses jahr hab ich gebraucht. Auch diese ferne reise. Nach 33 jahren grundschule, nach so vielen kleinen kindern, aus kleinen dörfern, in einer kleinen welt, musste ich mal raus. Etwas anderes machen. Einmal anders auf die welt schauen. Mal weiter blicken. Mal anders leben.

Ein jahr ohne pflichten. Ein jahr nur, was ich will. Nur was mir gut tut. Ein jahr zeit. Zeit, über die ich frei verfügen kann. Zeit für mich. Wer bekommt diese möglichkeit im leben? Wer kann sich das erlauben? Ich bin ein glückspilz! Klar musste ich mir die auszeit erkaufen. Durch verzicht. Verzicht auf einkommen, auf konsum, bequemlichkeit und sicherheit. Doch was gibt’s heute wertvolleres als zeit? Zeit ist unser knappstes gut. Das sieht heute jeder so.  Wir alle haben oder nehmen uns zu wenig zeit. Unser leben rast an uns vorbei.

Doch wer tut wirklich was dafür, sein zeit-management zu verbessern? Allein schon dieser begriff macht deutlich, welchem zeitdruck wir ausgesetzt sind. Termine bestimmen unser leben. Sogar unsere freizeit ist eng terminiert. Selbst der alltag der kinder und alten. Wir können keinen tag mehr einfach auf uns zu kommen lassen. Wir müssen unser leben planen, strukturieren, managen. Dennoch spüren wir, dass wir nicht mit kommen. Das rad dreht sich immer schneller.

Aussteigen aus diesem stressigen kreislauf möchten viele. Ich konnte es ein jahr lang. Wie lange wird es dauern, ehe ich wieder drin stecke in diesem hamsterrad ? Dem rat eines spanischen reisejournalisten, den ich in einem camp in Wadi Rum traf, werde ich folgen: „Bleib auf deinem rad – ob in familie, im beruf oder im alltag! Gönn dir den luxus, langsam voran zu kommen!“

Weil ich mir bei Thomas und Katharina in Bonn alle zeit lasse, das neue haus zu bestaunen, mit ihnen ausgiebig zu frühstücken und zu erzählen, komme ich bei Saskia und Sara drei stunden später an, als ich vermutet habe. Sie haben lieb auf mich gewartet. Saskia hat doch ein wenig dekoriert. Ein wimpel, der sog. ‚flamme rouge’, kündigt – angelehnt an den letzten km in der tour-de-france – die letzte etappe meiner „tour-de-radis“ an. Dazu ein witziger text, mit dem sie mich willkommen heißen. Früher hab ich auch mit flaggen und plakaten den hauseingang geschmückt, als Saskia und Sara von ihren auslandsjahren in Franreich und Irland zurück kamen. Sie haben das nie gemocht. Weil’s ganz unter uns bleibt, stört es mich nicht. Ein bisschen rache darf sein.

Gleich nach der begrüßung schleppen die beiden mich mit in eine kneipe, in der sie auf einer riesenleinwand fußball gucken wollen. Da komm ich nach zehn monaten zurück zu meinen kindern und die nehmen mich gleich mit auf ein paar kölsch! Was will ich mehr? Nach dem match grillt Duke noch saftige steaks auf dem balkon. Fleisch und bier, – eine kombination, von der ich unterwegs oft vergeblich geträumt habe. Dazu ein ‚röggelschen’, leider keine BAP-musik – das wäre den beiden zu viel klischee -, d’r dom im hintergrund und neben mir meine beiden gut gelaunten mädchen, über deren frech-lockere art ich so glücklich bin. Bevor ich auf der couch einschlafe, drückt Saskia mich noch mal. Ein warmer schauer läuft mir über den rücken. Ich bin angekommen.  Morgen werde ich nach Hause radeln.

Auf meiner letzten Etappe kurz vor Jülich zeigte mein Tacho 16.000 km, die man auf diesem Foto aber nicht erkennen kann.