AB WARTEN

Sharjah, 30. 01. 2009

Saskia ist eine unkomplizierte und selbstständige mitreisende, die mir alles abnimmt, was zu fragen, bestellen oder zu regeln ist. Eine woche habe ich keine verantwortung zu tragen, lass sie für mich entscheiden und mich nur mit schleppen, wenn ich lust dazu habe. Das finde ich so angenehm, nachdem ich monatelang jede kleinigkeit selbst klären und entscheiden musste.

Zum abschied gibt’s wieder dicke tränen. Bei mir mehr als bei ihr. Sie freut sich schon auf ihre neue wohnung und ihren Duke. Ich hänge ziemlich durch, weil ich immer noch abwarten muss, wie es weiter geht.

Markus ist inzwischen auch in Sharjah. Wir ziehen in eine einfache jugendherberge.* Die beiden angestellten aus Indien bzw. den Philipinen sind sehr freundlich und zuvorkommend. Dass küche und bad trotz ihrer bemühungen nicht unseren hygiene vorstellungen entsprechen, liegt eher am alter der einrichtung und an der starken nutzung durch viele nicht immer saubere gäste als an der sorgfalt der beiden. Etwas ganz besonderes: dieses hostel hat eigene ziegen, die der Inder manchmal auch auf dem rasen im vorgarten weiden lässt.(Fotografieren liess er mich die nicht)ImageImage

Im vierer-dorm, in dem vier betten neben einander in reihe stehen, schlafe ich nur ungern und unruhig. Der raum liegt im erdgeschoss gleich nebem dem eingang und hat zugang zur terrasse vor dem gebäude. Ein langer kahler raum wie ein früherer krankenhaussaal.ImageImage

Aber – wie immer in jugendherbergen – treffe ich  auch hier ganz interessante typen:

l        einen gemütlichen ägyptischen fußballtrainer mit schottischer lizenz und Dick-Advokaat-frisur, der einen erstligaclub in Sharjah trainiert.  Sobald er da ist, schnarcht er vor dem fernseher, in dem arabische sänger und sängerinnen vor sich hin quäken, ohne dass ihnen jemand gehör schenkt.

l        einen freundlichen iranischen vater im anzug, der mit seinen beiden ebenso netten angeblich besonders talentierten fußballspielenden söhnen und einem älteren persönlichen trainer der jungs hier wohnt, um die beiden bei einem reichen Dubai-club unterzubringen

l        einen kleinen amerikanischen kunsthändler aus Antwerpen mit seiner alkoholfahne. Wenn der auftaucht, wird es lebendig in der Diele. Er zappt ständig zwischen CNN, El Jazirah und Dubai-sports hin und her. Dabei kommentiert er die news lautstark und diskutiert lebhaft mit denen, die auf ihn eingehen

l        einen depressiven Iraner, der in einer geschäftlichen misere steckt, aber alle nicht- moslems aufklären will darüber, was eigentlich den Islam ausmacht

l        einen fanatischen Tunesier, der sich allzu schnell erregt, ob’s um einen punkt beim badminton oder um Israels verhalten im Gaza-konflikt geht. Aber die aufregung des herbergspersonals über das von ihm benutzte aber nicht gespülte geschirr kann er überhaupt nicht verstehen.

l        einen jungen, gut aussehenden architekten aus Teheran, der zwar – wie es Max scheint – sein land liebt, aber dem Iran und dem Islam möglichst oft den rücken kehrt, um einige tage sein leben genießen zu können

l        eine stille lang aufgeschossene, etwas farblose Neuseeländerin, mit einem unansehlichen blutschwamm auf der rechten wange, die vor ihrer hochzeit im märz noch eine große solo-reise unternimmt

l        eine etwas mitgenommen und nervös wirkende, laut sprechende Wallonin in hochhackigen schuhen, beigem pulli und braunem altmodischen glockenrock, die ständig telefoniert, im internet surft und mit dem Ami whiskey säuft. Max erfährt, dass sie mit ihrem arabischen freund probleme hat.

l        ein liebenswerter, ständig strahlender Koreaner, der auf dem weg nach Europa zwischenstation macht, um nach Luxor weiter zu fliegen. Auf etwa unserer radstrecke in entgegengesetzter richtung möchte er nach Europa. Im frühling will er dort die wichtigsten metropolen besuchen. Er ist sehr dankbar für jede info. Obwohl er mit seinem pc oft ins internet geht, scheint er mir wenig vorbereitet und unbedarft. So unbeschwert reisen viele junge backpacker! Beneidenswert.

Allerdings wird’s in der herberge manchmal auch störend laut, wenn z. B. der ohnehin lebhafte america-flämische galerist nachts um 3.30 uhr einfällt nach einer sauftour in Adjmon, dem nahen Emirat, in dem alkoholausschank üblich ist.

Für den in unserem zimmer nur nächtigenden stillen arabischen uniformierten, der – ganz im gegensatz zu uns – anscheinend nicht unter seinem körpergeruch leidet, ist das besonders ärgerlich. Er muss sechs tage in der woche schon um halb fünf aufstehen, um nach Abu Dhabi zur arbeit zu fahren. Abends kommt er erst nach 22.00 uhr wieder. Dann legt er sich gleich hin – zum leidwesen unserer geruchsorgane, ohne vorher zu duschen.

Der vierte mann im raum ist ein schläfriger, unnahbar wirkender, ständig verschnupfter Franzosen aus Monaco, der als einziger seiner sonst nicht religiösen familie zum Islam konvertiert ist und sich Abdul Asiz nennt. Ihn stört die unruhe in der herberge weniger. Er schläft jeden tag bis weit nach 10 uhr. Mittags wird er dann von einer art lehrmeister oder ziehvater abgeholt, der aber auch abends oft in der herberge bleibt. Sie trinken tee auf der terrasse, gehen dort mit dem pc des Franzosen ins internet (meiner tut das da leider nicht) oder schauen fern bis nachts um drei. Als ich mich am vierten tag traue ihn zu fragen, woher er kommt, will er kaum was persönliches los werden, mich aber gleich bekehren. Tagsdrauf schenkt er mir aber einen deutschsprachigen ‚Wegweiser um den Islam kennen zu lernen‘ und eine broschüre „Frauen im Schutz des Islam“. Image

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Seit sonntag geht es ganz schön farbig zu in der herberge, nachdem eine grosse gemischte gruppe aus dem Sudan in die erste etage eingezogen ist. Die hochaufgeschossenen jungen männer und die aparten zurückhaltenden frauen in ihren bunten tüchern und gewändern sind medizinische fachkräfte, die sich hier in Sharjah über das gesundheitswesen informieren. Sie sind den ganzen tag unterwegs und auch abends hört man sie nicht. Nur am freitag – ihrem sonntag –  treffe ich morgens mit einigen frauen zusammen, die tee kochen. Freundlich lächelnd aber nicht ohne absicht erzählt mir die älteste, dass im Sudan die küche das ausschliessliche reich der frau sei. Männer würden da nie arbeiten. Also warte ich noch mit meinem frühstückskaffee, bis sie sich wieder in das obergeschoss zurück gezogen haben.

Täglich frühstücke ich ausgedehnt – als einziger am tisch. O-saft, joghurt, nescafé, körnerbrot vom Carrefour, pakistanische orangenmarmelade mit fruchtstücken und schalenstreifchen (450 gramm glas zu 1,05 €) sowie käse. Allerdings hat mir einer donnerstag nacht den gouda aus dem kühlschrank geklaut. Seitdem schließe ich ihn mit pc und kamera in mein spind ein. Ausweise, kreditkarte und geld trage ich ohnehin immer am körper, zusammen mit mutters goldenem kreuz, das Lucy mir mit gegeben hat, und Elfis Christophorus.

Privacy gibt’s in der jugendherberge keine. Ruhe finde ich hier kaum. Höchstens morgens früh, wenn alle anderen schon weg sind oder noch schlafen. Aber dann stören mich schon die ununterbrochen vorbei rauschenden autos. Meist sitze ich mit meinen stiften, heften und dem pc auf den knien in meinem bett. Kritzele, schreibe, zeichne. Von dort kann ich durch eine doppelte glastür über die terrasse durch die herbergspforte auf die straße blicken. Die tür zum flur ist auch doppelt breit, aus glas und ständig halb geöffnet, so dass ich zumindest alles mit anhören muss, was iin der ‚lobby“ mit fernseher, sitzecken und rezeption abgeht. Wie lange will ich das noch aushalten?

* Trotzdem ein bisschen Werbung für das Deutsche Jugend-Herbergswerk:

Seit meiner studentenzeit bin ich mitglied im DJH und dadurch auch im International Youth Hostelling. 21 € kostet das inzwischen jährlich. Manche jahre hab ich die mitgliedschaft gar nicht genutzt. Aber wenn, waren es immer unvergessliche Tage:

l        mit den beiden kleinen töchterchen in Monschau

l        mit der ganzen familie im urigen holzhaus der herberge in Morzine

l        zum 50. einer freundin in Wesel per rad mit übernachtung in der JH,

l        in Münsters besonders komfortablen jugendgaestehaus am Asee,

l        in einer rot lackierten herberge auf den Lofoten,

l        in Nideggen als wendestation auf dem Rur-Rad-Weg,

l        in zwei teuren herbergen in Trondheim und in Oslo vor und nach dem dortigen radmarathon,

l        in Traben-Trabach auf dem Moselradweg,

l        in Perigueux auf dem Jakobsweg,

l        in Worpswede auf der verregneten radtour Kiel-Selfkant

l        und jetzt sogar im fernen Dubai.

Jugendherbergen sind so unterschiedlich, wie die orte, in denen man sie findet. Aber immer lohnt es sich dort einzukehren, wenn man keinen luxuriösen rundum-service sucht, sondern interessante begegnungen mit besonderen menschen in einer lockeren atmosphäre.