ALL TAG
Es mag vermessen klingen, auf solch einer reise überhaupt von alltag zu schreiben. Doch verlaufen die letzten tage seit dem HOTEL CAMP alle ähnlich, so dass sich routine einschleicht: morgens früh auf, zum bäcker, am strand frühstücken, meist mit blick aufs meer – heute morgen in Kavala mit blick auf eine gut behütete rentner-schwimm-truppe. Dann zelt zusammen- und alles aufs rad packen. Und los – die nächsten 80 bis 90 km.
Übrigens fahre ich täglich etwa 10% mehr als die etappenorte laut karte oder hinweistafeln von einander entfernt liegen. Das müssen die km sein, dıe ich zum bäcker, zum Lidl oder ’nem anderen supermarkt radele, kurze abstecher in eine bucht oder zu einer ruine,
die suche nach dem zeltplatz und wieder zum einkaufen oder zu einem bier. Das läppert sich anscheinend!
Die landschaften der letzten tage ähneln sich auch: entweder fahre ich an felsiger küste entlang, nicht so stark zerklüftet wie in Kroatien und dadurch weniger abwechslungsreich. Aber immer wieder finde ich einsame, schwer zugängliche badestellen und kleine, schöne strände. Oder ich durchradle seen- und flußlandschaften, die jetzt im spätsommer zwar weitgehend ausgetrocknet sind, aber jeweils den typischen delta charakter zeigen: riedgras, schilf, feuchte, sumpfige wiesen.
In den flußauen wächst viel mais. Aber es weiden auch rot- und schwarzbunte kühe dort, manchmal bis zu den knien im wasser.
Baumwollfelder hatte ich zuvor noch nicht gesehen. Die weißen watte-bällchen werden anscheinend erst später geerntet.
In den höher gelegenen gebieten ist das getreide abg eerntet. Der tabak trocknet schon an metallgestellen. Große flächen liegen brach, die von ziegen- und schafherden genutzt werden.
Am tagesziel angekommen suche ich erst den zeltplatz, baue auf, schwimme, dusche. Dann einkaufen und kochen/essen/spülen evt. wäsche waschen. Vielleicht noch ins internet-café. Aber früh ins bett. Mehrmals sind mir schon vor dem pc die augen zugefallen.
Besonders angenehm sind die septembertage, weil nur noch wenige touristen zu gast sind. Die saison ist vorbei. Das wetter aber fantastisch: Morgens und abends angenehm abgekühlt, am meer vor allem durch die leichte brise. In den mittags-stunden zum rad fahren noch fast zu heiß. Das meerwasser ist herrlich warm und erfrischend. In Griechenland müsste man immer im
september urlaub machen.
Der leichte ostwind, den ich in diesen tagen gegen mich habe, ist in den höher gelegenen gebieten störend warm. In manchen orten steht die luft. Ohne wind ist die hitze noch schwerer zu ertragen, vor allem wenn’s bergauf geht.
Als auf der küstenstraße der wind mir auch am vierten tag den salzigen schweiß brennend in die augen treibt, habe ich das gefühl, langsam mürbe zu werden. Auf einmal schmerzt dann doch die schulter. Die socke im linken schuh sitzt nicht mehr glatt. Sie zwickt. Das kunststoff-etikett im nacken hat eine harte nylonnaht. Die sticht. Das wasser in der trinkflasche ist zu warm. Da hilft auch der saft der zitrone nichts, den ich darin ausdrücke. Eine viertelstunde später bin ich froh, das lauwarme wasser so in vollen zügen trinken zu können, dass es mir ins gesicht und unters trikot läuft. Ich habe eine tankstelle erreicht. Neben der kasse ein doppeltüriger kühlschrank voller gekühlter getränke.
Müde werde ich nach fünf/sechs stunden, aber bloß nicht schlapp machen! Viele radfahrer behaupten ja, sie könnten diese tiefs überwinden, in dem sie den verstand auf null fahren. Mir gelingt das nicht. Ich denke immer. Mir hilft heute, an den alltag anderer zu denken! An den des baggerfahrers, der in einem steinbruch neben der straße mit einem presslufthammer am ausleger bei furchtbarem getöse felsbrocken zerschlägt. Oder an die bäuerin, die am straßenrand in der hitze ihre tomaten und melonen anbietet.
Oder an die zuhause, die schon fast weder die heizung anmachen müssen, weil es so kalt ist. An die kolleginnen im ersten schuljahr, die an dem gewusel der kleinen verzweifeln. An die kleinen im ersten schuljahr, die die aufregung ihrer lehrerinnen und eltern nicht verstehen. An Sara, die immer noch alleine in der gruppe arbeiten muss, obwohl sie drei neue kinder bekommen hat. Da ist mein alltag mir lieber!
In den letzten tagen komme ich gut voran. Die strecken haben keine schweren steigungen. Oft lege ich die kette rechts. Dann habe ich selbst das gefühl, etwas zu schwer zu treten. Aber lege ich das nächst kleinere ritzel auf, geht’s mir zu leicht. Ein alt bekanntes problem der kettenschaltung trotz 9-fach ritzel.
Aber auch eine frage meiner einstellung zum rad fahren: Distanzen zurück legen, das ist meine größte freude. Den asfalt unter mir abrollen sehen, meter für meter. Die manchmal unendlich scheinende gerade tritt für tritt weg drücken, bis ich am ziel müde, ja erschöpft, aber zufrieden zurück schauen kann. Das brauche ich!
Je schwerer die bedingungen sind, unter denen ich meine strecke geradelt bin, um so größer ist meine erfüllung. Es muss schön schwer sein. Die monotonen 40 km durch das delta vor Thessaloniki, der warme gegewind zwischen Kavala und Xanthi, sie erhöhen die genugtuung über die erbrachte leistung. Sie steigern meine freude an der reise.
Von manchen, die mich gut kennen, höre ich die vorwurfsvolle vermutung, es gehe mir bei dieser reise nur um anerkennung und profilierung. Deswegen auch der internet-auftritt. Mag schon sein. Wer kommt ohne anerkennung aus? Fragwürdig wird’s allerdings, wenn das radfahren das einzige wäre, woraus ich meinen selbstwert schöpfe und ihn nur in der selbstdarstellung finde.
Die glücksmomente verspüre ich jedenfalls intensiv und unmittelbar. In diesem augenblick verfluche ich noch den wind, der meinen mund austrocknet, im nächsten liebe ich ihn, weil er mich vor sich her segeln lässt. Gerade wenn ich alleine bin und niemand von meiner anstrengung notiz nimmt, heule ich vor freude. wenn ich erreicht habe, was ich mir vorgenommen hatte. Bin ıch auch während der anstrengung oft aufgebracht, wütend über die widrıgen umstände, ich bin um so zufriedener, wenn ich es doch geschafft habe. Ach, was kann ich da für ein held sein!
Dabei muss ich gerade auf dieser reise immer wieder meine ansprüche zurück schrauben, bescheiden und geduldig bleiben. Täglich sollen es ja 80 bis 100 km werden, um dann zeit für längere pausen und schwerere strecken zu gewinnen. Aber wie oft war ich schon vorher erschöpft. Und doch zufrieden. Wenn auch nicht so ganz!
Als ich bei Alexandropoli ans thrakische meer komme, hat der schweiß meinen brustbeutel völlig durchtränkt, so dass er triefend nass an meinem bauch baumelt. Das rot des reisepasses hat trotz plastiktüte die geldscheine verfärbt. Doch mein herz macht einen glücklichen hüpfer. Ich bin wieder ein schönes, schweres stück weiter gekommen. Alltag eines radreisenden.