ARM SELIG
Kairo, 17-12-08
Im laufe des zweiten wüstentags nimmt der wind ein wenig zu. Aber wir kommen gut voran. Die wüste bietet landschaftlich hier nichts neues. Endlos weite, leicht hügelige kies- und geröllflächen, aus denen immer wieder auffällig violett getönte felsen heraus ragen. Östlich der straße begleitet uns der abbruch eines um die 300 m hohen plateaus. In seiner flanke türmen sich hohe sanddünen, die wie vergilbte schneeflächen wirken.
Die lange gerade straße mit nur leichten wellen trifft genau meinen radelgeschmack. Hier habe ich die endlos scheinende strecke vor mir, die mir die distanz und abgeschiedenheit bietet, die ich suche. Solche verkehrsarmen, langen geraden ermöglichen monotones fast meditatives radfahren. Das wünsche ich mir, um meinen bewegungsdrang zu befriedigen und gleichzeitig meinen gedanken freien lauf zu lassen.
Es ist nicht leicht hier zu radeln. Aber diese anstrengung kann ich genießen. Die mühe tut mir gut. Sie bringt mich voran. Mit fortschreitender entfernung wächst meine gelassenheit. Schließlich mündet sie in einer müden, wohligen zufriedenheit am tagesziel.
Das heißt heute Dakhla. Zu dieser oase gehören 16 verschiedene ortschaften. Insgesamt ist sie etwa 90 km lang. Die erste ärmliche siedlung, die wir erreichen – Sayed oder so ähnlich -, ist auf unserer karte gar nicht zu finden. Sie ist auch teil des ägyptischen besiedlungsprojekts, wie wir an den monotonen häuserzeilen erkennen.
Vor dem ort ist direkt an der straße trotz des feiertags ein laden geöffnet. Na ja, laden? Eine türöffnung. Hinter ihr in einem verstaubten lagerregal verstaubte konserven, reis, bohnen, seife, waschpulver, klopapier und ein paar verpackungen mit mir unbekanntem inhalt. Vorne links schalen und säcke mit hiesigen nüssen, kernen und sämereien. Gleich neben der geldschublade die süßigkeiten. Eine im vergleich zu dem sonst spärlichen warensortiment reichliche auswahl an riegeln und rollen. Nicht zu vergessen die großen kartons mit chips. Hinten in der ecke links der kühlschrank mit cola, limo und anderen süßgetränken. Davor fast in der tür ein fernseher.
Gleich nebenan spielen vier männer domino beim tee vor einer zweiten türöffnung, die das dorfcafé in sich birgt: ein schmuddeliges waschbecken, ein stück theke mit einem der hier üblichen wasserkocher und gläser. Daneben tee-, kaffeepulver- und zuckerdosen. In einem glas ein paar blecherne löffelchen. Hinter der theke die wasserpfeifen. Daneben der rost mit der glühenden kohle. Vorne links ein großer kühlschrank mit dem gleichen getränkeangebot wie im laden nebenan.
Die Männer bleiben zunächst reserviert. Aber als sie sehen, wie wir mit den vielen kindern umgehen, die gleich freudig zusammen gelaufen sind, lächeln auch sie freundlich. Wir trinken tee und pepsi, können aber nur leitungswasser nachfüllen. Brot gibt’s auch nicht. Wir müssen also bis Dakhla mit keksen, biskuits und riegeln vorlieb nehmen.
Alles hier wirkt arm. Alles ist herunter gekommen. Dabei besteht die siedlung noch gar nicht lange. Die Menschen aber – vor allem die kinder – sind heute fein heraus geputzt. Sie scheinen zufrieden. Sie spielen, lachen und tollen miteinander. Wir spüren keine aggressivität, sehen keinen neid, hören kein böses wort. Auch die mädchen scheinen hier ihren festen platz in der gemeinschaft zu haben. Natürlich nur wenn sie dem traditionellen bild entsprechen: Schön, still, auch mal albern und ein wenig kokett.
Fotografieren ist hier kein problem. Es sind ja keine frauen anwesend. Alle wollen aufs bild. Möglichst einzeln, weil sie heute alle wegen des festtages ihre schönsten sachen tragen. Die mädchen sind besonders schmuckvoll angezogen und stark geschminkt. Alle können heute auch süßigkeiten und getränke kaufen, denn zum opferfest hat’s zu den geschenken auch geld gegeben.
Alle bleiben ganz natürlich. Neugierig, aber zurückhaltend und freundlich. Niemand bettelt oder fordert irgendetwas. Dem jungen verkäufer kommt gar nicht in den sinn, von uns mehr zu verlangen als den üblichen preis. Wie angenehm anders als in den touristen-orten.
Am nachmittag erreichen wir mit Tineida, den ersten ort der oase Dakhla. Hier gibt’s palmen, blühende sträucher und saftige weiden mit schwarzbunten kühen, viele reiher und andere vogelschwärme.
Wir staunen über das emsige leben der bauern in der oase. Meist bauen sie eine art klee als viehfutter an. Den schneiden sie mit der kurzen sichel, bündeln ihn zu schweren packen und laden sie den eseln auf. Aber auch gemüse, große rötliche kartoffeln, reichlich obst, sogar bananen gibt es hier. Fleisch wird angeboten, hühnchen und verschiedener käse. Der dorfladen ist gut sortiert, führt auch mineralwasser. Nur brot können wir wieder leider nicht kaufen.
Kinder und jugendliche begrüßen uns überschwänglich. Einige begleiten uns auf ihren rädern und eseln bis zum ortsende.
In der nähe einer bushalte mit fließendem wasser unter dattelpalmen im weichen sand hinter einer böschung, die uns sichtschutz zur straße hin bietet, finden wir einen idealen zeltplatz für unsere zweite wüstennacht. Wir schlafen wie die murmetiere, obwohl aus dem ort noch lange musik zu hören ist. Die muslime feiern immer noch ihr opferfest.