CLUB FAMILIE

Sofia, 22.04.09

EDOSK ist die abkürzung für Edirne Doga Sporlari Kulubü. In deutsch heißt der verein: Edirne natur sport club. In dem club gibt’s abteilungen für wandern, kletten, segeln, kanu- und rad fahren. Ergün leitet mit Ali und Sadi zusammen die radsportgruppe. Er ist auch mitglied in dem türkischen radlerforum. Dort hat er Murats eintrag über mich gelesen. Von ihm auch meine Turkcell-handynummer bekommen.

Schon zwei tage bevor ich Erdine erreiche, meldet Ergün sich zum erstenmal bei mir. Er hat bis 1975 in Kassel gelebt und spricht recht gut deutsch. Am samstag gegen halb fünf komme ich dann in Erdines zentrum zur großen Moschee. Ergün und noch 10 radler – darunter vier frauen – warten dort auf mich. Sie heißen mich herzlich willkommen. Zuerst muss ich kurz erzählen, wer ich bin, woher ich komme und wohin ich will. Dann radeln sie mit mir durch die altstadt über die beiden flussbrücken zu einem schön gelegenen café. Sadi, der mit seiner frau im auto mit fährt, hält alles mit seiner kamera fest. Beim tee beantworte ich nun ihre vielen fragen. Zum glück können Ergün und Sadi alles übersetzen. Mit Ali und Evet kann ich mich in englisch unterhalten.

Während ich bis dahin annehme, dass sie mich auf ihrer samstäglichen clubtour abgeholt haben, höre ich jetzt, dass sie sich heute extra zu meiner begrüßung auf die räder geschwungen haben. Morgen am sonntag findet ihre vereinsfahrt statt. Zu der bin ich herzlich eingeladen.

Mir ist das fast zu viel der Ehre. Das versuche ich – mit aller vorsicht, um nicht falsch verstanden zu werden – meinen beiden dolmetschern zu verstehen zu geben. Sie sind aber ganz zufrieden, so einen gastfreundlichen empfang organisiert zu haben. Vor allem weil auch im verlauf des abends weitere radler hinzu kommen, die am nachmittag noch arbeiten mussten oder sonst was zu erledigen hatten. Stolz stellen sie fest, der verein hat sich von der besten seite gezeigt. Das kann auch ich nur bestätigen. Dass sich so viele so lange zeit nehmen und so viel interesse zeigen für einen ihnen völlig unbekannten radfahrer! Es ist fast unglaublich. Im dunkeln radeln wir zurück ins zentrum. Auch das knipst Sadi noch mehrmals aus dem auto heraus.

Um 8.30 holen Ali und Ergün mich sonntag morgen am hotel ab. Mein gepäck bringen wir in das clubbüro. Evt. soll ich die zweite nacht nämlich in einer anderen günstigeren unterkunft schlafen.

Um 9.00 uhr treffen sich diesmal mehr als 30 radfahrer bei herrlichen sonnenschein. Längst nicht alle sind vereinsmitglieder. Zu der fahrt ist öffentlich eingeladen worden. Kinder, ältere männer, junge mädchen, jugendliche mountainbiker, jungs mit antiquierten rennrädern – alle warten geduldig bis es gegen 10 uhr los geht. Ein echtes volksradfahren.

Der harte kern der EDOSK-radsportgruppe ist natürlich da mit gut ausgestatteten Trek-mountainbikes oder neuen tollen hybrid-räder von Corratec und Red Bull.

Zum glück stehe ich nicht mehr im mittelpunkt, sondern die radtour. Es geht über ruhige kleine straßen raus auf die dörfer. Am fluss Tunca entlang durch hügeliges terrain führt Ergün uns leicht auf und ab. Mehrmals halten wir an. In dorfcafés picknicken wir mitgebrachten käse, brot, salate, trockenfrüchte, nüsse und frisches obst. An einer flussschleife genießen wir von einer anhöhe aus die herrliche aussicht.

Immer öfter sprechen mich meist junge leute aus der gruppe an. Über mein rad. Über das leben in Deutschland, meinen beruf. Ihre ausbildung interessiert mich, ihre berufsaussichten und -pläne, ihre hobbys. Über filme und musik unterhalten wir uns. So gut es eben geht. Immer häufiger werde ich gebeten mich mit ihnen fotografieren zu lassen. Immer lockerer wird der umgang zwischen uns.

Immer wieder gibt’s auch pannen. Mit einer seelenruhe flickt Sadi mindestens fünf platte reifen. Er ist anscheindend der materialwart im club. Andere unterstützen ihn. Per funk wird Ergün dann informiert, damit er vorne wartet. Das peloton liegt nämlich ganz schön weit aus einander.

Nach 15 uhr sind wir wieder zurück in Edirne. Viele ungeübte radler schieben mit roten köpfen und eindeutigen anzeichen von ermüdung die letzten anstiege in der stadt hoch. Alle scheinen dennoch zufrieden.

Während sich die gastfahrer nach und nach verabschieden, werde ich von den clubmitgliedern wieder eingeladen in ein gartenrestaurant. Bei bier, bratkartoffeln und lahmacun sitzen wir bis zur dämmerung zusammen. Wie in der türkei üblich wird das essen für alle bestellt. Jeder greift zu und jeder gibt schließlich so viel geld, wie ihm das essen wert ist. Nur ich darf als gast trotz all meiner bemühungen nichts zahlen.

Wir fachsimpeln übers radfahren, „velosofieren“ aber auch übers reisen und leben. Ob ich glaube, dass ein leben ohne grenzen in einer großen gemeinschaft der völker möglich sei, fragt Ali. In der runde wiegen alle bedenklich ihre köpfe. Ich zweifele auch. Aber alle stimmen mir zu, dass es wünschenswert wäre.

Als ich mich zum schluss bei allen bedanke, bin ich ganz gerührt. Wie in einer familie habe ich mich bei den EDOSK-radlern aufgenommen gefühlt. Die beiden tage in Edirne waren ein würdiger abschluss meiner eindrucksvollen und erlebnisreichen reise durch die Türkei. Überall war ich herzlich willkommen. Mehrmals habe ich mich zu hause gefühlt.

Abends um 23 uhr bringen Sadi und Ergün mir noch eine CD mit den fotos, die Sadi an den zwei tagen gemacht hat. An meinem geburtstag gratuliert Ergün mir per sms und Sadi ruft mich in Bulgarien an. „Ich glaube, du bist heute geboren. Herzlichen Glückwunsch!“, sagt er. Das fest hatte ich ja schon mit ihnen.