Dien dobry

Miedzyzdroje, 10. 7. 2014

Bodden, Haff, Peenestrom, Odermündung, Achterwasser, Usedomer See, Pommersche Bucht, Gothensee und noch viel ‚Meer‘.  Am nächsten Morgen auf dem letzten Stück zur Ostsee komme ich mit jeder Pedalumdrehung an irgendein Wasser. Selten weiß ich sicher, um welches ich gerade herum radle. Usedom ist nicht nur eine Insel, es gibt auch ein Städtchen dieses Namens. Aber der größte Ort auf der Insel ist Swinouijscie (Swinemünde) . Usedom ist teilweise auch polnisch . Und wenn die Grenz-Hafenstadt auch noch durch die Swina  zweigeteilt ist,  man nur mit der Fähre vom einen in den anderen Stadtteil gelangen kann, bildet diese beachtlich breite Flussmündung nicht die Grenze.  Trotz all der Wasserläufe, die als natürliche Barrieren leicht hätten Grenze werden können, verläuft die ganz simpel über Land auf deutscher Seite von Ahlbeck an der Ostsee bis Kamminke am Stettiner Haff.  Das muss ein Hickhack gewesen sein damals nach dem zweiten Weltkrieg, ehe diese Teilung übern Tisch war.

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In der EU haben  Grenzen nur wenig Bedeutung. Sie stellen zumindest kein Hindernis mehr dar. Ich kann auf einem grenzüberschreitenden Radweg einfach rüber rollen. Aber so ganz unbemerkt und selbstverständlich ist der Grenzübergang dann doch nicht für Deutsche und Polen:  Man hat immerhin ein offenes Tor als Symbol der Durchlässigkeit und  Offenheit auf der Landesgrenze installiert. Und natürlich ist dieses Edelstahl-Tor jetzt ein gern gewähltes Fotomotiv.

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Auf dem Weg zur Stadtfähre bleibe ich möglichst lange auf dem Dünenweg, an dem auch hier wie auf deutscher Seite Villen, Hotels und zu Feriendomizilen umgebaute große Stadthäuser liegen. Nicht dass ich es mir nur einbilde und Vorurteilen Vorschub leiste:  Auf deutscher Seite wirken die Grundstücke, die Zäune, die Häuser, die Straßen gepflegter. Mir gefällt dieser ein wenig verwilderte, legerere Look. Ich mag abgeblätterte Fassaden, weil  sich darin oft das Leben eines Gebäudes wiederspiegelt. Verwitterte Fenster und  wettergezeichnete Holzschalungen haben oft mehr Charme als die frisch lackierten. „Renovierungsrückstand“ heißt das in der Wohnungswirtschaft. Die Eigentümer auch die in Polen wissen, was dessen Beseitigung kostet.

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Die Stadtfähre ist propenvoll. Die Überfahrt ist kostenlos. Dennoch tausche ich rasch noch vorher Sloty.  Anhand der Beschreibung im Reiseführer hab ich entschieden, gleich weiter zu radeln. Und zwar die erste Etappe auf der Hauptroute des  EuroVelo 10. Ich will einfach mal probieren, wie dieser Pfad für mich mit meinem Gepäck und meinen angestrebten Tages- Kilometern  zu fahren ist.  Hinweisschildern und Täfelchen mit R 10 folge ich schon seit der Grenze. Hier motiviert mich jetzt eine Stele ganz besonders, diese Route zu nehmen.

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Sandiger Waldboden, achteckiges Pflaster, Betonplatten aber auch immer wieder Asphalt wecseln sich ab. Ein junges polnisches Pärchen mit Mountainbikes, an deren Sattelstützen sie je einen Kindersitz montiert haben, in denen drei und vierjährige Mädchen nicht ganz glücklich wirken, kommen mir entgegen. In Englisch erzählen sie mir, dass sie etwa eineinhalb Stunden gebraucht hätten von Miedzyzdroje bis hier. Meiner Schätzung nach und nach den Angaben im Radführer haben sie höchstens 15 km zurückgelegt. Der Weg wird gelegentlich, so sandig dass auch mein Vorderrad einfach stecken bleibt. Schieben, wen auch nur ein paar Schritte. Und diese gelöcherten Betonplatten sind eine wahre Rüttelpiste. Jetzt weiß ich, warum die Mädchen so missmutig in ihren Sitzen hängen. Für solche Radler weist der Radführer auf diesen schwierigen Teilstücken Alternativen aus. Aber die verlaufen meist über verkehrsreichere Straßen und sind oft deutlich unattraktiver.

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Mir macht das Ackern über Wurzeln um Pfützen und schlammigen Sand, das Gepolter über Kopfstein und Beton noch Spaß, obwohl ich zuhause nicht gerne off road fahre. Heute will ich es mal probieren. Heute lasse ich mir Zeit. Heute genieße ich die Wald- und Wiesen-Strecke.  Hab in den letzten Tagen ausreichend Autolärm ertragen.  Heute will ich ja nur bis zum nächsten größeren Ostseebad kommen. Insgesamt werden das 65 km. Heute will ich noch im Meer schwimmen. Nach 63 km komme ich in Miedzyzdroye an. Der übersichtliche Badeort gefällt mir sofort. Die Strandpromenade ist etwas überdimensioniert, der Strand unterhalb des steil abgebrochenen Riffs kilometerlang, breit genug, aber jetzt um 15.30 Uhr ziemlich voll. Und der Wind! Der pfeift den Sonnenhungrigen um die Ohren, Alle suchen Schutz hinter Windfängen, die aber oft unter dem Luftzug zusammenbrechen. Viele ältere halten sich mit Tüchern und Kragen die Ohren zu oder schützen ihre Kopfbedeckungen.

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Rasch finde ich den örtlichen gut organisierten Campingplatz, darf mir den Zeltplatz aussuchen wo ich mag, zahle umgerechnet 6,50 € und kann auch noch das Wifi nutzen. Ich lade nur ab, baue rasch auf, stopfe die Taschen ins Zelt, ziehe die Badehose an, nehme ein Handtuch und das Kettenschloss und düse los zum Strand. Fahrrad an einem Zaunpfahl  anketten, und los laufen in die wegen des Windes starke Brandung. Die Füße hab ich gerade mal nass, da trillert schon einer hinter mir. Ein junger Bademeister im orangefarbenen Lebensretter-Achselshirt schüttelt den Kopf und zeigt auf die rote vom Wind zerfledderte Flagge an seinem Hochsitz. Baden heute untersagt. Bis zu den Knien darf ich wohl. Ganz schön frisch ist es ohnehin. Vorfreude ist die schönste Freude.

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Zurück am Zelt genieße ich meine eigene kleine Camper-Welt. Mein Zelt, meine Matratze, mein Schlafsack. Alles riecht nach mir. Darum müssen die Radschuhe und –socken auch draußen bleiben. Alles liegt oder hängt an seinem Platz. Jedes Mal wird jedes Teil wieder in die gleiche Tasche an den gleichen Ort gesteckt. Sonst suche ich mich wahnsinnig. Liest sich total penibel.. Aber so ein Chaot wie ich braucht diesen  Halt in der Ordnung. Aus Radhelm, großer Ortliebtasche, Schlafsack und Kopfkissen baue ich mir eine Lehne, so dass ich entspannt am Netbook schreiben und Fotos sortieren kann. Hab einen ruhigen Platz zwischen jungen polnischen Pärchen mit Wohnwagen gewählt. Die sind  wie fast alle Camper aufgeschlossen und hilfsbereit. W-Lan-Code, Bier-und Brötchen-Laden und die Steckdosen zum Aufladen kenne ich jetzt. Ihren Gummihammer brauche ich  nicht. Bei dem weichen Wiesenboden. Die Wäscheleine darf ich mit benutzen.  Von dem sensationellen 7:1 schwärmen  sie. Besonders von Klose. Dass Greipel die heutige Touretappe gewonnen hat und es damit schon vier deutsche Etappensiege gab, interessiert sie überhaupt nicht.