DURCH GEBLASEN
Farafra, 12-12-2008
Am dritten tag ist das erste hindernis die matschig feuchte straße vor Balat, dem historischen lehmdorf in der Dakhla-oase. Der rutschig klebrige straßenbelag pappt an unseren rädern. Max muss den dreck sogar von seinen schutzblech kratzen, weil die laufräder so stark schleifen. Während dessen lasse ich mir vom dorfschmied die undichte stelle am gaskocher schweißen.
Wegen des immer noch fehlenden brotes biegen wir dann in den historischen kern Balats ein, der nur aus alten lehmhäusern besteht.
Ein junger telefonkarten-verkäufer, den wir nach einer bäckerei oder einem brotladen fragen, muss zunächst passen. Aber dann lädt er uns ein, im dorfcafé zehn minuten zu warten. Er schwingt sich auf sein moped und bringt uns nach kurzer zeit sechs frische noch warme fladenbrote. Sie seien ein geschenk seiner mutter, erklärt er uns. Unser zweites frühstück ist gesichert.
Wir halten uns lange auf zwischen den alten kühlen lehmhäusern. Besonders die noch bewohnten faszinieren uns mit ihren dachterassen, den hübschen grünen ecken. Das spiel von licht und schatten sowie die ton-in-ton-komposition der häuser, strohdächer, staubstraßen und sandberge – dazwischen die grünen tupfer der palmen und bananenstauden. Balat ist eine augenschmaus. Sogar die grabsteine sind aus lehm.
Den stärksten eindruck macht auf uns das gebet des blinden imam, der nichts dagegen hat, dass wir ihn vom vorhof der kleinen moschee aus beim mittagsgebet beobachten und fotografieren. Aber ein backschisch erwartet er schon.
„Der wind kommt immer von vorn,“ ist eine bekannte radlerweisheit. Zurück auf der wüstenstrecke spüren wir, wie stark der wind uns jetzt seitlich entgegen bläst. Auf solch freier strecke nur zu zweit hat man als radler einen schweren stand gegen den wind.
In vielen jahren habe ich auf dem weg zur und von der schule den wind als freund sehen gelernt. Bei fast täglichem westwind trieb er mich morgens zu schule. Ich flog oft vor ihm her, kam mühelos zum dienst. Nachmittags ließ er mich zwar nur langsam nach hause, stemmte sich mir entgegen und machte mich müde. Statt dann mit ihm zu kämpfen, habe ich ihn als freund betrachtet, mit ihm gespielt, mit ihm gesprochen: Blas nur wind! Puste tüchtig, mein freund! Heut morgen hast du mich segeln lassen. Morgen werde ich mit dir fliegen. Wehe mir kräftig entgegen! Damit machst du mich stärker. Biete mir widerstand! Davon werde ich nur noch zäher. Stemm dich mir entgegen! Dadurch lehrst du mich geduld und ausdauer. Halt mich ruhig auf! Du schenkst mir damit zeit auf dem rad.
So hab ich den wind schätzen gelernt. Er will mir zwar manchmal noch zeigen, dass er der stärkere ist. Aber als freund hat er keine macht mehr über mich. Ich fahr gerne mit ihm und gegen ihn.
Diese freundschaft wird hier in der wüste wieder auf die probe gestellt. Am nachmitag weht er unangenehm von der seite. In den oasen flattern palmwedel und blätter vor uns über die straße. In den dörfern rollen plastikmüll und leere pet-flaschen vor unsere räder. Aus den häuserlücken und seitenstraßen wirbelt der staub. Außerhalb der ortschaften in der offenen wüste fegt sand und verdorrtes gebüsch über die straße. Unsere sicht ist aber nicht eingeschränkt.
Weit fahren wir nicht mehr mit unserem freund an der seite. Dabei wollte ich täglich etwa 100 km schaffen. Doch nachdem wir vor durst und hunger – nach informationen – auch noch im einzigen internetcafé dieser wüste pause gemacht haben, schaffen wir nur 45 km bis zum sonnenuntergang. Der ist besonders spektakulär. Wir erleben ihn an einem salzsee, dessen kahles ufergeäst reizvolle kontraste in den abendhimmel zeichnet.
Am vierten morgen ist alles anders: unsere zelte sind taufeucht. Sie trocknen in dem schattigen palmenhain auch nicht schnell. Am himmel zieht die ein oder andere wolke vorbei. Angenehm warm ist es dadurch. Wieder auf der straße spüren wir den kräftigen wind im rücken. Welch ein genuss! Trotz unseres abstechers zu der heißen quelle von Bir Gabal werden wir heute die anvisierten 80 km locker schaffen.
Die kinder haben heute noch schulfrei. Immer noch opferfest-ferien. Sie spielen auf den straßen, mit dem neuen spielzeug, das sie zum fest geschenkt bekommen haben. Viele jungen mit pistolen und gewehren. Ungestört können wir deswegen die schule in Mut wenigstens von außen besichtigen. Die Mubarak-bilder und die kitschigen wandmalereien sind nicht mein geschmack. Aber die anlage des schulgartens gefällt mir schon. Anscheinend wird er aber zur zeit nicht gepflegt.
Die ‚hot springs‘ von Bir Gabal hätten wir uns sparen können. Es gibt nur ein als thermalquelle nutzbares becken, das nicht einmal besonders einladend auf uns wirkt. Trotzdem hat der oasentourismus hier schon erste hotels und camps entstehen lassen. So treffen wir außer jeeptouristen auch familien aus Kairo, die hier ein entspanntes wochenende mit ihren kindern verbringen wollen.
In Sheik Mahwub können wir obst, schokoriegel und cola kaufen, aber wieder kein brot. Doch eine kundin holt uns von zuhause acht kleine fladenbrote. Wir versuchen mehrmals das brot zu bezahlen oder ihr obst dafür zu geben. Aber sie gibt uns immer wieder alles zurück.
Es ist doch schon wieder 17.00 uhr und damit dunkel, ehe wir das letzte oasendorf – Gharb Mahwub – erreichen. In freundlicher polizeibegleitung finden wir im dunkeln schnell einen schlafplatz außerhalb des orts. Vorher können wir in einem market unsere vorräte auffüllen. Diesmal finden wir alles, was wir benötigen, essen noch vier im fahrrad-ofen gegarte süßkartoffeln und entdecken sogar ‚Kineffe‘ – mein lieblingsgebäck seit Antakia – wenn auch nicht ganz frisch verpackt. Aber wir können nicht verstehen, dass es wieder kein stück brot zu kaufen gibt in dem dorf.
Am fünften tag fliegen wir weiter. Die wüste hat uns jetzt wieder. Sie zieht uns in ihren bann. Westlich von uns erstreckt sich zuerst das ‚muscheltal‘ und dann das ‚große sandmeer‘, dessen wogen fast bis zur straße ausrollen. Als Markus nur 10 minuten von der straße in die dünenlandschaft hinein wandert, fühlt er sich mitten in der Sahara, zu der diese dünen letztlich gehören.
Die 140 km bis zur kleinen oase Minqar sind ein radler-traum: die einmalige landschaft, die unendliche weite, die bis zum horizont reichende straße, die leise surrende stille, das herrliche wetter, der rückenwind, der tadellose asfalt, der geringe autoverkehr, alles passt. Wir werden einfach durch geblasen durch die ‚western desert‘.
Ich möchte gar nicht mehr anhalten, nicht mal zum fotografieren. Irgendwann radele ich dann alleine. Das krönt meinen fahrgenuss. Allein, mühelos, ja fast schwerelos mit 40 kg gepäck! Segeln. gleiten. Dabei abgleiten. Das rad alleine fahren lassen. Alles fahren lassen. Los lassen.
Markus erzählt mir ein paar tage später, dass ihm das alleine radeln in der wüste ebenso gut getan hat.
Am nächsten polizei- und dem ihm unmittelbar folgenden militärposten muss ich halten. Ich warte, bis Markus aus dem sandmeer zurück ist. In Minqar holt uns die harte wüsten-wirklichkeit wieder ein. Das ist der ärmlichste ort, den ich auf meiner reise bisher gesehen habe. Die häuser bestehen nur aus einem raum, manche haben strohdächer, manche gar keins. Durch die offenen türen versuche ich in die wohnungen zu spähen. Den bewohnern gefällt das nicht. Drum lass ich es. Neben manchen häusern ist ein verputzter ofen gemauert. Wo und wie in den anderen häusern essen zubereitet wird, kann ich nicht erkennen.
Im dorfladen – das wort passt überhaupt nicht zu der armseligen verkaufsecke hinter einem durchbruch in der außenwand – gibt’s die weit verbreiteten gasflaschen mit brenneraufsatz. Die werden wohl zum kochen benutzt. Im einzigen regal des ladens liegen noch weniger konservierte oder getrocknete lebensmittel als wir bisher erlebt haben. Frisches gibt’s gar nicht. Nicht mal h-milch. keine nudeln, kein wasser, auch wieder kein brot.
Ein etwa 10jähriges ganz zartes mädchen bedient uns. Sie kennt alle warenpreise und scheint das geschäft zumindest zeitweise zu führen. Ein paar gleichaltrige kinder spielen auf dem staubigen vorplatz zwischen eselkot und plastikmüll mit einem alten autoreifen. Zwei erwachsene treffen wir: einen jungen mann, der uns den laden zeigt, den wir in dieser schäbigen ecke gar nicht gefunden hätten und vor dem laden einen kunden, der uns natürlich den vortritt lässt beim einkauf. Mit seinen ständigen einwänden bringt er das bedienende mädchen eher durcheinander, statt ihm zu helfen.
Als wir aus dem elend raus radeln, um in der wüste schlafen zu können, schweigen wir beide nachdenklich. Ähnlich wie in Albanien und in manchen bergdörfern Syriens fühlen wir uns unwohl angesichts der armut anderer und der eigenen ohnmacht, daran etwas zu ändern.