EINGELADEN III

Von Sögüt aus fahren wir am frühen nachmittag auf und ab durch ein enges flusstal. Am Ende beginnt ein mehr als 15 km langer anstieg, vor dem uns alle warnen, weil er so steil sei. Von 20 %  steigung sprechen einige jungen, die wir bei einer pause nach dem weg fragen. Tatsächlich hab ich es mit meinem schmerzenden knie unglaublich schwer an diesem berg. In den besonders steilen innenkehren schaffe ich gerade noch 5 km/h und drohe wirklich umzukippen. Als wir das kleine bergdorf Dagküplü erreichen, kann ich nicht mehr weiter, obwohl wir längst noch nicht oben sind. Es ist ein ärmliches dorf, mit lehmhäusern und teilweise zerfallenen schuppen und ställen zwischen denen steile steinige pfade hinauf zur einfachen hallenartigen moschee führen. Ich frage im einzigen laden, neben dem die alten vor der dorfpinte ihren tee trinken, nach einem schlafplatz. Alle schütteln den kopf. Aber Hassan und sein freund aus dem laden beginnen zu beratschlagen. Ibrahim, lehrer in der nächsten großstadt, aber hier geboren, kommt hinzu. Dann erscheint Ibrahims onkel Hossi, der in Düsseldorf lebt und uns in bestem rheinisch klar macht: „Camping dat jeht hier nich. Hier können se nitt übernachten.“ Der bürgermeister Mustafa neben Hossi gibt ihm aber irgendetwas zu bedenken. Inzwischen steht Markus in einer mindestens 12köpfigen männerrunde. während ich fotografiere. Der dorfrat tagt. Das ergebnis verkündet Hossi: „Ich übernehme die verantwortung.“ (Anscheinend können sie den Imam zur zeit nicht erreichen). „Ihr könnt im gastraum der moschee schlafen. Dort könnt ihr auch die toilette benutzen. Waschen könnt ihr euch im hof der moschee sogar mit warmem wasser. Wenn ihr noch was braucht, wendet ihr euch hier an den Bürgermeister, der wohnt gleich nebenan.“ Hossi spricht sehr bestimmt. Erst immer deutsch, dann übersetzt er. Die anderen nicken. Hossi muss wieder in die Stadt, weil er morgen schon zurückfliegt. Wir schaffen es kaum in dem allgemeinen durcheinander uns entsprechend zu bedanken. Ibrahim bringt uns zur moschee. In dem großen mit teppichboden ausgelegten gastraum gibt’s eine einbauküche mit allem zubehör und einen niedrigen tisch. Sonst ist er leer. Als wir die räder im hof abstellen, begrüßt uns der Imam. Er spricht kaum englisch. Dennoch verstehen wir, dass er uns ein abendessen in den raum bringen will. Wir nehmen dankend an. Eine viertelstunde später bringt er zusammen mit einem besonders zurückhaltenden kleinen mann auf einem riesentablett einen topf mit warmer joghurt-suppe, eintopf mit lammfleisch, reis, tomaten und zwei sorten brot. Der kleine begleiter des priesters stellt sich als bibliothekar aus Istanbul vor, spricht englisch und regt an, wir sollten das dunklere brot probieren. Es sei ‚handmade‘ von seiner mutter. Das säuerliche bauernbrot schmeckt ganz frisch und würzig. Außerdem bittet er uns die räder in den vorraum zu setzen und mit dem waschen zu warten, bis das nachtgebet vorbei sei.

Markus und ich essen, sind aber so aufgewühlt von dem, was sich hier in der letzten stunde abgespielt hat. Meine Erschöpfung ist völlig vergessen. Nach dem waschen gehen wir runter zum tee in die dorfkneipe. Neben dem Immam und dem bibliothekar siztend stehen wir rede und antwort. So gut es geht. Unsere beiden ansprechpartner tauschen mit uns ihre e-mail-adressen aus und schreiben etwas in Max‘ gästebuch.

Als wir uns verabschieden, kündigen sie schon an, dass wir morgen früh von ihnen das frühstück erhalten. Wir wollen noch widersprechen, weil wir im laden schon eingekauft haben. Aber das hat keinen sinn.

Brot, tomaten, zwei sorten käse und feste honigstücke, denen man die wabenstruktur noch ansieht, bringt uns der imam persönlich am morgen nach dem ersten gebet. Auf einem kleinen spickzettel hat er sich einige englische vokabeln notiert, anhand derer er uns seine freude mitteilt uns kennengelernt zu haben, eine gute reise wünscht, und gute gesundheit. Er werde für uns beten, sagt er zum schluss und verabschiedet sich auch mit dem hier üblichen freundesgruß von uns. Markus und ich wissen nicht, was wir antworten sollen. Wir sind total gerührt. Ich muss wieder heulen, kann ihm aber doch noch faltblätter und postkarten vom Selfkant als andenken geben.

Als wir die räder die steile gasse hinunter zur straße führen, steht er oben vor dem tor der moschee und winkt uns nach. Die folgenden schweren sieben kilometern bis zur passhöhe auf über 1300 m schweigen Markus und ich.