EURO TÜRKEI

                                                                                                   Cesme, 04. 04.09

Schluss mit den klagen. Der sonntagmorgen ist auch in der Türkei der ideale termin zum rad fahren. Kein autoverkehr. Niemand hupt oder drängelt. Die sonne scheint und der wind bläst schön in meine fahrtrichtung. Von Denizli nach Aydin sind’s 130 km. Von 354 m meereshöhe geht’s runter auf 65 m. Gar nicht viel. Dennoch rolle ich nur abwärts.

Auf meiner rechten seite begleitet mich eine eisenbahnlinie. Züge sehe ich jedoch den ganzen tag nicht.

Aber verschlafene bahnhöfe, mit winzigen teestuben oder kleinen läden. Hinter holzzäunen erzählen oder spielen alte Mmänner. Frauen schneiden entlang des bahndamms wildkräuter für salat. Unter alten bäumen, in denen kinder klettern, picknicken familien. Oberhalb der bahn dunkelgrüner nadelwald auf mittelgebirgshöhen. Dazwischen kleine verträumte dörfer. Südlich der straße immer noch schneebedeckte hohe berge.

Bei einer tasse tee treffe ich Machus und Emilio – ein spanisches radlerpaar, die auf dem weg nach Nepal sind. Sie versuchen die visa übers internet zu bekommen und sind noch guten mutes. Streunende hunde und ihre holpernden radanhänger beschäftıgen sie mehr.

Je näher ich Aydin komme um so mehr verkehr kommt auf. Viele ausflugsbusse sind unterwegs. Die stadt wirkt wie eine europäische großstadt. Überall könnte ich schon mit euro zahlen. Im zentrum eine weitläufige fußgängerzone mit integriertem park, restaurants, eisdielen und cafés. Die hauptgeschäftsstraße mit den vielen markenläden könnte – vor allem in der abendlichen Beleuchtung – auch in Aachen, Lüttich oder Maastricht sein.

Apropos Maastricht: Yunus, ein junger hotelangestellter, der in der sommersaison in einem urlaubshotel in Marmaris arbeitet, hat dort vor zwei jahren Nadine – blond und blauäugig – aus Maastricht kennen gelernt. Immer noch ist er so in sie verliebt, dass er unbedingt zu ihr möchte. Ein paar brocken niederländisch spricht er schon.

Bis zur ägäischen küste wird das land, werden die menschen, sind vor allem die frauen immer europäischer gekleidet. Hier trägt kaum noch eine kopftuch. Wenige bäuerinnen arbeiten noch in den weiten bunten hosen.

Die jungen damen in Kusadasi – dem vielbesuchten hafen für kreuzfahrt-schiffe an der türkischen westküste – kleiden sich in jeans und miniröcken, tragen dunkle noch winterliche strumpfhosen, aber im café schon kurzämelige und bauchfreie t-shirts. Bei uns würden sie nicht auffallen, so europäisch wirken sie. Europa ist über die griechische insel Samos ja auch nur noch einen katzensprung entfernt.

Aber auch die geschäftigkeit im ort, die unpersönliche geschäftsmäßige freundlichkeit der kaufleute, der zeitmangel, das tempo beim einkaufen, die gleichgültige achtlosigkeit gegenüber dem anderen erinnert an Europa. Hier rufen nur noch die „Hello sir, cay?“, die ihn und einiges mehr verkaufen wollen.

Der campingplatz Önder liegt im ort an der hafenstraße und dennoch idyllisch ruhig. Bis auf das gegackere der platzeigenen vier hühner und des hahns morgens um fünf. Am ersten tag bin ich der einzige gast. Zwei nächte bleibe ich, weil ich am dienstag das nahe Ephesus besuche. Wieder ein herrlicher entspannter radausflug ohne gepäck an einem sonnigen tag.

Aus Ephesus bringe ich den Schorsch noch mit zum campingplatz. Betriebsleiter in einer bayrischen firma mit 150 mitarbeitern, der seit jahren an tinitus leidet trotz kur, psychologischer betreuung, entspannungs-workshops, speckstein-schnitzereien und drechselbank im eigenen keller. Jetzt ist der druck so groß geworden, dass er nach 19 jahren den gut bezahlten job gekündigt hat. Ohne zu wissen, wie es beruflich bei ihm weiter gehen wird, radelt er erstmal von Izmir an der küste entlang nach Antalya. Ostern will er auf einer griechischen insel verbringen. Für den 4. mai hat er einen rückflug nach München gebucht.

Der helm, den er von seiner frau tragen soll, baumelt am gepäckträger. Kochgerät braucht er auch nicht. Sein kleines zelt nutzt er heut zum erstenmal. Auf die mitnahme eines handys hat er bewusst verzichtet. Der familie hat er versprochen, sich einmal in der woche per internet zu melden. Bei einem Efes unterhalten wir uns wie zwei alte bekannte über das herrliche leben älterer radtouristen und den stress zuhause, bis es uns zu kühl wird in den kurzen hosen.

Bis Cesme folgen jetzt drei sommertage achterbahn. Jeden morgen klettere ich erstmal mindstens sieben, acht km zwischen 7 und 10 %, sozusagen der anlauf der bahn. Danach geht’s an allen tagen fast gleich schwer über jeweils ca. 25 bis 30 km rauf und runter. Am ende der drei tage kann ich stets lange runter rollen, weil ich halt immer am meer campe. Die strecken sind herrlich einsam, fast ohne autoverkehr. Ab und an streife ich kleine dörfer. Täglich auch ein kleineres städtchen. Özdere, Menderes und Urla sind noch wenig vom tourismus betroffen. Aber doch nicht mehr ländlich oder gar ursprünglich. Mehrstöckige wohnblocks prägen die stadtbilder. Lebhaft geht’s nur zu in den ‚Sehir Merkezi‘, den stadtzentren mit markt, moschee und einkaufsstraßen.

Mittwochabend lande ich auf einem ‚rummelplatz‘ im winterschlaf. Im ‚Ege Kamp‘ sind noch alle wochenendhäuschen und fest stehenden wohnwagen unter planen versteckt. Die plastikstühle schlafen gestapelt unter wellblechdächern. Die geranien – in folie gepackt – treiben zwar knospen. Aber niemand ist da, der sie gießt. Wieder bin ich erster und einziger gast. Habe also die zweifelhafte ehre, die seit monaten ungenutzten und ungeputzten sanitärräume wieder in betrieb zu nehmen.

Strom schließt der platzwart mir aber an für meinen pc und eine glühbirne, mit der mein weg zur toilette nachts ausgeleuchtet ist. Pinkeln und waschen muss ich ohne licht. Duschen kann ich sowieso nur kalt. Nicht mal ein mülleimer steht bereit.

Izmir selbst – 2,7 millionen menschen leben hier – umfahre ich verbotenerweise weitraeumıg auf der autobahn. Schorsch hatte mich nämlich gewarnt, dass die landstraße D 300 sich im stadtgebiet verliert. Er hatte sich ganz schwer getan, wieder raus zu finden, nachdem er vom flugplatz aus über die gleiche straße rein gefahren war. Verbote werden in der Türkei nicht so schnell geahndet. Ein polizeibus überholt mich auf der autobahn. Unbehelligt kann ich weiter radeln.

Ganz wenig komfort böte eine übernachtung in der nähe des fährhafens in Izmir. Den campingplatz im stadtteil Balcova suche ich vergebens. Am weit außerhalb liegenden ausflugslokal „Türk Evi“ frage ich nach einem zeltplatz. Sofort lädt der wirt mich ein, hier auf seinem gelände kostenlos zu zelten. Wegen der vielen streunenden hunde, die ich um das lokal herum ausmache, baue ich mein zelt im hof unter einem blechdach auf.

   

Dann fotografiere ich die wattähnliche bucht im sonnenuntergang mit dem algenspiegel und den darauf futternden möwen. Im lokal kann ich nur noch kebab essen. Ein bier muss ich aus meiner vorratstasche holen.

Am freitag morgen frühstücke ich gleich zweimal. Zuerst haferflockenbrei mit zwei orangen und kaffee auf der terasse des Türk Evi direkt am meer. Dann im hafen mit dem ubootmuseum in einem café brote mit käse und marmelade. Als ob ich geahnt hätte, dass ich das heute brauchen werde. Nachdem ich auf der kleinen halbinsel bei Klazomenai eine zu einem museum umfunktionierte olıvenölpresse besichtigt habe, muss ich von Urla bis Cesme 50 km auf und ab gegen den westwind strampeln. Westwind der hier wohl staendig stark weht. Auf den höhen sind einige windräder installiert.

Die D 300 führt durch eine blumenreiche ruhige hügellandschaft, die mich an die dünen in ‚les landes‘ erinnert. Kiefern, lavendel, ginster. Dazwischen gluckern kleine bäche und wasserläufe. Stauseen bergen das trinkwasser für die feriengebiete. Nicht nur der wind, auch der asfalt ist sehr rauh. Abends um 5 erreiche ich Cesme ziemlich abgekämpft. Aber schluss mit dem klagen. Jetzt habe ich eine woche urlaub vom rad- urlaub. Denn Elfi besucht mich in Cesme. Im modern gestylten Sissos Hotel haben wir uns einquartiert.