FORT GEWEHT

Bejec, 28.04.09

Auf der nördlichen Donau-seite geht’s flussaufwärts nach Belgrad und Novi Sad. Der radwanderführer preist beide städte, nennt Novi Sad ‚Perle Serbiens‘. Gezielte Informationen für eine stadtbesichtigung hält er aber nicht parat. Mit dem reiseführer  sehenswürdigkeiten abklappern will ich ja gar nicht. Aber ohne was gelesen zu haben über die städte, weiß ich auch nicht, was ich mir anschaue. Es ist mir zu anstrengend und nervig, planlos durch so eine metropole zu radeln. Mit dem voll bepackten rad durch den großstadtverkehr macht sowieso keine freude. Aber wo lass ich das gepäck? Günstige unterkünfte sind schwer zu finden.

In Sofia hab ich ohnehin gemerkt, dass ich zur zeit keine antenne mehr habe für große städte. Mir fehlt das interesse. Nicht noch ein dom, noch ein schloss, noch ein museum. Nur durch latschen und halbherzig hin schauen, dazu sind diese städte zu schön. Als dann der südost-wind, der mich schon zwei tage geschoben hat, noch stärker wird, fällt es mir leicht, die serbische hauptstadt und die ‚perle‘ links liegen zu lassen. Nordwestwärts kürze ich ab richtung Ungarn und verlasse das donau-tal. Auch Budapest, Bratislava und Wien habe ich nicht vor zu besuchen. Wenn möglich werde ich sie umfahren. Das kostet zwar kilometer, spart aber nerven und geld. Der besuch der Donau-städte lässt sich ja gut in einer tour verbinden.

Den menschen in Serbien geht’s anscheinend wirtschaftlich besser als in Bulgarien. Hier auf dem land scheint jeder sein auskommen zu haben. Straßen und verkehr sind vergleichbar mit denen in ländlichen provinzen südeuropas. Viele ältere Yugos sind nur auffällig, autos aus ehemals jugoslawischer produktion. Hier und da trabt ein pferdekarren vorbei. Nicht jede seitenstraße ist asfaltiert. An häusern und gärten wird vielerorts renoviert und nach gebessert: Anstriche, zäune, tore, außenputz, pvc-fenster, dacheindeckungen, laminatböden, badezimmer. Deutsche baustoffe werden anscheinend geschätzt.

In den kleinen städten sind die zentralen plätze mit kirche, rathaus und denkmal – oft aus der Tito-ära – zu fußgängerzonen mit straßencafés gestaltet. Heineken, Tuborg, Amstel und  österreichische bierbrauereien haben anscheinend neue sonnenschirme geliefert und oft auch die terrassen modern möbliert. Luftig gekeidet – meist in marken(imitate?)klamotten – genießen vor allem junge leute die sonne.

Automodelle, markenkleidung, fassadenfarben oder biersorten sind sicher keine kriterien für die lebensqualität eines landes, wie wichtig sie manchen menschen auch sein mögen. Im vorbeifahren fällt mir so was halt auf. Über ausbildungsniveau, gesundheitswesen oder selbstmordraten erfähre ich nichts auf dem rad. Hierzu ergibt sich vielleicht was in gesprächen.

Die verschlafenen dörfer im Banat gefallen mir. Sie erinnern mich an Uhlenbusch. Die niedrigen bauernhäuser weit zurück versetzt von der straße. Kleine gärten und wiesen mit kastanien und linden davor. Nur gänse laufen mir keine mehr über den weg. Dafür weiden schon mal kühe an der straße. Viele orte, die bis zum 2. weltkrieg oft deutsche namen trugen wie Weißkirchen oder Karlsdorf, wirken fast ausgestorben. Wenn überhaupt sehe ich tagsüber nur ältere menschen, die in den gärten arbeiten oder vor den häusern sitzen.

Viele häuser stehen leer. Vor allem die großen höfe, die die österreichischen gutsherren um 1900 hier gebaut haben und längst verlassen mussten. Die großen häuser sind einfach zu teuer zu unterhalten, erzählt mir ein rentner, der so einen lang gestreckten hof seit jahren leer stehen lässt. Er wohnt in Belgrad, wo er für BASF gearbeitet hat. Daher spricht er ausgezeichnet deutsch.

In Becej ist solch ein schöner hof aus 1896 zur ‚Villa Via‘, einer hübschen privatpension mit café umgebaut worden. 40 gäste können dort in renovierten räumen übernachten. Schon unter dem torbogen kann ich mir vorstellen, wie feudal die damen und herren in der K-und-K-Monarchie hier gelebt haben.

Bei jedem halt spricht mich irgend jemand in deutsch an. Meist männer, die selbst oder deren eltern in den 70er jahren bei uns gearbeitet haben. Alle erzählen netterweise, wie gut sie es in Deutschland hatten. Mehrfach werde ich zum bier eingeladen. Oder brauche meinen kaffee nicht zu bezahlen. Einmal bekomme ich eine ‚extrawurst‘. „Serbische spezialität“, sagt der wirt und schenkt mir  zwei dünne, scharf gewürzte, warme würstchen, die in ihrem fett schwimmen. Natürlich lobe ich diese köstlichkeit.

In einem kleinen kaff namens Alibunar gerate ich abends im gasthof an einen tisch, an dem gesoffen wird. Ein ziemlich betrunkener Serbe aus Hannover lädt mich zum bier ein. Er besitzt auch die deutsche staatsangehörigkeit und ist zur zeit auf ‚heimaturlaub‘.  Über die jungen männer, die mit am tisch sitzen, erzählt er, dass sie nur gelegenheitsjobs finden können. Wegen der aussichtslosigkeit in Serbien, sagt er, wollen sie alle weg. Doch wohin? Weltweite finanzkrise, kein visum, kaum sprachkenntnisse. Darum saufen sie zusammen mit dem ‚reichen onkel‘ aus Deutschland. Über das faschistische Amerika schimpfen sie. Auch auf Den Haag sind sie nicht gut zu sprechen. Wegen Mladic würde die EU Serbien isolieren und keine wirtschaftshilfe leisten. Aber niemals würden sie seiner auslieferung zustimmen. Alle ihre stammtischparolen muss der Hannoveraner mir übersetzen. Sie nicken immer wieder zu mir rüber, damit er ihre meinung weitergibt. Dann klopfen sie ihm anerkennend auf die schulter. „Dass du in mein dorf gekommen bist, ist ein geschenk für mich“, meint er zwischen korn und pils. Dabei küsst er mich auf die stirn. Nach dem dritten halben liter kann ich mich zum glück in mein zimmer schleichen. Abendbrot habe ich in flüssiger form eingenommen.

Heute hab ich mich ja auch nur 100 km treiben lassen. Und am nächsten tag werd ich wieder 130 km durchgeblasen. Der rückenwind ist so stark, dass ich manchmal minuten lang nicht treten muss. Aber wehe, wenn der straßenverlauf sich mal in eine andere richtung wendet. Bei seitenwind kann ich nur mühsam in meiner spur bleiben. Bei gegenwind stehe ich in den pedalen, komme aber kaum weiter. Kurs nordwest muss ich versuchen stur zu halten. Deshalb nehme ich auch kleine sträßchen und feldwege in kauf. Besser über einen holperpfad geschoben werden, als im seitenwind in den graben fliegen. Zweimal reißt der wind mir meine kartentasche aus den druckknöpfen der lenkertasche. Sie landet jeweils im acker. Ich muss sie zusätzlich am lenker festbinden.

Drei tag e fliege ich mühelos voran. Es ist eine wahre wonne. Manchmal geht’s mir fast zu rasch. So stark werde ich geschoben, dass ich kaum noch mal links oder rechts gucken kann. So viel ist hier in dem flachen weideland allerdings nicht zu sehen. Am vierten tag in Serbien ist der wind nicht mehr ganz so kräftig. Trotzdem erreiche ich ohne anstrengung nach weiteren hundert kilometern die ungarische grenze. Über den wind darf ich mich nach sechs aufeinander folgenden tagen mit rückenwind nie mehr beklagen.

Wieder in der EU, stelle ich fest. Habe ganz vergessen, dass Serbien nicht dazu gehört. Woran sollte ich das auch fest machen? Kaum in Ungarn registriere ich einen unterschied: Hier gibt’s discounter: penny, plus, Lidl, die Aldi-Kik-dm-kombi und den ramsch der ein euro-läden.