GELEIT SCHUTZ

Deraa 3-11-2008

50 km südlich von Damaskus fotografiere ich einen betonpfeiler, der völlig unmotiviert in einem steinigen Acker wächst. Ein  surreal anmutendes foto könnte das werden.

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Völlig real aber ist der militärjeep der neben meinem rad hält, als ich aufschaue. Drei soldaten in uniform steigen aus, begrüßen mich freundlich und fragen nach meinem ausweis. Ihr ranghöchster prüft ihn kritisch, fragt dann, ob ich spanier sei. Als ich angebe, ich sei deutscher, zeigt er den pass den anderen. Die zucken nur mit den achseln. Sie können genauso wenig lateinische schrift lesen wie ich arabische. Nach kurzem zögern kriege ich den pass zurück und darf weiter radeln. Zwei kilometer weiter an einem kasernentor in Assalamain hält ein militärjeep vor mir. Der ranghöchste von eben steigt aus und mit  ihm ein zivil gekleideter polizist. Der begrüsst mich in englisch, stellt sich vor und bittet mich mit auf die polizeiwache zu kommen. Es sei zu meiner sicherheit. Geht das schon wieder los! Der dolmetscher kommt bald von einer nahen modernen hochschule, an der ich eben vorbei geradelt bin. Dort unterrichtet er „IT“ – wie er sagt. Für sein englisch entschuldigt er sich. Es sei ‚technical, not for conversation‘.Dann folgt die komplette nummer: personalien, reiseverlauf, zweck der reise, … Schließlich fragt er, ob ich nicht wüsste, dass ich hier in einem grenzbereich wäre, in dem fotografieren verboten sei? Ich verneine, bitte ihn aber sich zu überzeugen, dass ich keine militäranlagen oder menschenansammlungen fotografiert hätte. (Damit kenne ich mich ja jetzt aus.) Er schaut tatsächlich zusammen mit dem obersten soldaten etwa die letzten zwanzig fotos auf der kamera durch. Dann – so übersetzt er es mir – schreibt er in das protokoll, dass er mich darüber aufgeklärt habe, dass man hier nicht fotografieren darf, dass meine bilder nur unbebaute landschaften, historische gebäude und menschen bei der arbeit zeigen. Der soldat deutet mir dann an, dass ich gehen kann. Der dolmetscher aber erzählt mir eher privat, dass er vier jahre in diesem ort bürgermeister gewesen sei, dann aber wieder in „education“ gewechselt sei. Schließlich bittet er mich noch um meine e-mail-adresse und wünscht mir eine gute reise. Aus seinem auto heraus ruft er nochmal: Sorry, it’s only for your security.Nach Ezraa sind’s vielleicht noch 30 km. Die brauche ich nicht alleine zu radeln. Im abstand von wenigen metern folgt mir eine mit drei polizisten besezte zivilstreife. Als ich in Mahajah fälschlicherweise auf die „autostrada“ will, hupen sie, kommen neben mich, fragen „Ezraa?“ und zeigen mir den ‚rechten weg‘. Am ortseingang von Ezraa fragt der beifahrer mich: „Saint Georg?“ Als ich nicke, ziehen sie vor und lotsen mich bis vor das verschlossene kirchenportal. Ich bedanke mich. Sie zeigen mir die dame, die mir die kirche öffnen kann. Dann fragen sie noch, ob ich hier schlafen werde. Wollt ihr neben meinem bett wache schieben, hätte ich sie am liebsten gefragt.

Als die korpulente schlüsselgewalt mir voller stolz das grab des hl. Georg zeigt in dieser orthodoxen kirche mit achteckigem grundriss, spüre ich einem warmen schauer in meinen ganzen körper. Immer in solch kleinen gotteshäusern, in denen der glaube einfach aber unmittelbar gelebt wird, kann ich auch auf meine naive art beten und zu meinem glauben stehen. Viel besser als in den riesigen  prachtkirchen oder -moscheen. Da bin ich so beeindruckt von dem, was ich sehe, dass ich gar nicht mehr zu meinen anliegen finde. Hier werde ich vereinnahmt von dem, was ich fühle. Diese kirche steht offen für jeden, der sich einlässt auf diesen einfachheit. Hier ist eine verbindung vorhanden, die auch ich leicht aufnehmen kann. Vor dem grab des hl. Georg kann ich mich hin knien und andächtig beten.

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Danach mache ich ein paar fotos und zünde noch eine kerze an. Die frau bittet mich, noch ins gästebuch zu schreiben. Als wir das kirchlein verlassen, ist es schon dunkel. Trotzdem hält die resolute concierge es für unabänderlich, dass ich noch bis Busra weiter fahre oder den bus nehme, weil man hier nicht übernachten könne. Sie hat nicht nur die kirche, sondern auch den  pfarrhof  inzwischen abgeschlossen. Da kommt aus einem haus neben der kirche ein älterer hagerer mann, der ohne viele worte mit seinem schlüssel den kirchhof wieder aufschließt. Er winkt mir zu, dass ich ihm folgen soll.

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Hinter der kirche gibt es ein gebäude mit großen versammlungsraum, in dem auch taufen, hochzeiten und beerdigungen gefeiert werden. Eine küche und toiletten sind auch vorhanden. Hier kann ich übernachten. Ich bin so froh. Ganz herzlich bedanke ich mich  für soviel gastfreundschaft. Der neugierigen frau, die mit gegangen ist, gebe ich eine münze für ihre kirchenführung. Dem mann, der sich inzwischen als priester der orthodoxen gemeinde Saint George geoutet hat, stecke ich mehr zu. Endlich kann ich mir selbst etwas kochen, was meinem erholungsbedürftigen darm gut tut: Klare brühe und reis habe ich noch in der tasche. Gegenüber der kirche bekomme ich gemüse. Auf dem großen gasherd ist es in meinen kleinen topf rasch gedünstet. Als nachspeise zerdrücke ich noch eine banane auf den letzten trockenen keksen.  Außer auf polizeilichen kann ich anscheinend auf himmlischen geleitschutz vertrauen.

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Gerade habe ich gespült, da besucht mich der ‚kirchenvorstand‘. Der priester begleitet die drei herren, die als schreiner, glaser und klempner arbeiten und auch das pfarrheim in schuss halten. Wir trinken tee zusammen, den der priester macht. Ich spendiere eine packung schokoplätzchen. Die kommunikation ist sehr schwierig, da nur der klempner ein paar wörter englisch spricht. Sie gehen auch bald, denn sie sind gekommen, um das geld im opferstock der kirche zu zählen. Für mich wohl ein wink mit dem zaunpfahl. Also gebe ich ihnen auch noch mal 200 syp. Umgerechnet nur 3,30 €. Aber für syrische verhältnisse angemessen, hoffe ich. Oder doch zu wenig? Seltsamerweise kommt der klempner nämlich nachher nochmal zu mir und bittet mich um meinen pass. Sie möchten ihn kopieren als erinnerung. Meinen pass gebe ich nur ungern ab. Schon gar nicht in Syrien. Und überhaupt nicht bei dieser fadenscheinigen begründung.Ich will zum kopierer mit gehen. Er sagt, er sei als sozius des glasers mit dem moped da und sie müssten zum kopieren in seinen betrieb. Jetzt schlägt das mulmige gefühl auf meinen darm. Er sagt zigmal: No problem! Schließlich willige ich schweren herzens ein. In die chronik der St. Georgskirche kommt die kopie sicher nicht. Aber in wie vielen ‚wichtigen‘ registern syrischer behörden bin ich jetzt wohl erfasst? Eine viertelstunde später bringt der priester mir meinen pass zurück. Ich bin erleichtert. Wie angekündigt um sieben uhr morgens schließt der pfarrer mir auf. Er ist schon in gesellschaft. Ein mürrischer polizist in zivil auf einem moped begrüsst mich brummig. Mir ist gleich klar, das er hier ist, um mich zu eskortieren auf dem weg nach Busra. Tatsächlich fährt er 30 km schräg hinter mir im abstand von drei bis fünf metern. Er hält an, wenn ich anhalte. Manchmal bleibt er stehen und raucht eine zigarette. Kontakt nimmt er nicht mit mir auf. Vor dem ort Sayda ist er plötzlich verschwunden. Seine begleitung hat mich nicht gestört. Nur fotografieren habe ich mich nicht getraut. Darum bin ich froh, dass ich jetzt „ungeschützt“ weiter radeln darf.

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