KNIE FREI

Kurze eng anliegende radhosen sind in der anatolischen öffentlichkeit wie im gesamten arabischen oder moslemischen raum unmöglich. Wir haben das schon vor der reise gelesen. Ab Istanbul ziehen wir deshalb eine lange weite ¾ trekkinghose über die radshorts, wenn wir irgendwo unter menschen radeln.

Das kohlblatt um mein lädiertes knie hält ohnehin besser, wenn ich eine lange radhose trage. Aber an der türkischen südküste ist es noch so sommerlich warm. Da schwitz ich in der langen hose schon nach wenigen km. Außerdem irritiert sie meine von der bandage aufgescheurte kniekehle.Also doch kniefrei? Markus fragt in Mersin nochmal nach. Einen jungen aufgeschlossenen mann, der ausdrücklich betont, dass die Türken hier durch den tourismus an solchersportkleidung überhaupt keinen anstoß nähmen.

Also kurze hose. Welch eine wohltat! Luft an den beinen. Meine kniekehle heilt rasch. Dazu das leichte trikot. Da liegt der schnitt gleich 2 km/h höher. Als ob das wichtig wäre, denken jetzt bestimmt einige. Schon! Wenn du 19 statt 17 km/h über 120 km fährst, bist du 45 minuten eher am ziel. Dieser zeitgewinn kann abends darüber entscheiden, ob du bei tageslicht ein ruhiges sauberes plätzchen im park findest um zu zelten oder in der dunkelheit auf einer feuchten vermüllten brachparzelle landest, auf der sich nachts streunende hunde bis an dein zelt trauen.

Wesentlich angenehmer ist auch der faltenfreie sitz auf dem sattel ohne die überziehhose.Vor allem weil mich schon seit gestern ein kleiner entzündeter pickel auf meinem hintern zwickt.

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Die moscheebesucher am sonntag in Tarsus schauen überdeutlich an mir vorbei. Niemand grüßt mich. Frauen im lebensmittelladen drehen den kopf weg, schauen in eine andere richtung. Ein tisch 10 bis 12jähriger schüler auf einer restaurantterrasse kichert hinter hohler hand. Zwei junge mädchen an einer bushalte puffen sich gegenseitig die ellbogen in die rippen, als sie mich sehen. Also doch wieder lange beinkleider. Kohlblatt dazwischen. Dann scheuert es auch nicht mehr in der kehle.Auf dem weg nach Atakya, dem ehemaligen Antiochia, radle ich knie bedeckt, aber schmerzfrei! So lange ich nur schön klein trete und nicht zu sehr auf das rechte pedal drücke. Dabei fahre ich doch viel lieber einen zahn schwerer. Wichtig ist auch, dass ich nicht im klickpedal einraste. Das knie soll sich frei bewegen können.

 

Ohne den schmerz und ohne den partner radele ich trotz holpriger straße aber mit rückenwind wieder gelöster, unabhängiger, gelassener. Alleine radeln macht mich zufriedener. Markus hat mich überhaupt nicht gestört oder gar genervt. Im Gegenteil. Ich selbst will es mir und ihm immer möglichst angenehm machen. Das nervt.

Ich will nicht so weit hinterher radeln.Markus sagt: Lass dir Zeit! Aber er soll ja nicht so lange warten müssen.

Ich bin mogens früh auf. Markus schläft etwas länger. Soll er ruhig. Ich versuche ganz leise zu sein. Aber er wird dennoch wach.

Ich suche den schlafplatz gern bei tageslicht. Markus sieht bessere chancen für einen kostenlosen schlafplatz, wenn’s schon dunkel ist.

Das sind alles keine streitfragen. Wir haben uns immer rasch geeinigt.

 

Hercules-Mosaik  (Archeolgogiemuseum  Antakya)

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Alleine brauche ich mich nicht abzustimmen. Ich entscheide aus dem bauch heraus. Strecke, start, tempo, pausen, schlafplatz, besichtigungen, fotos, proviant, getränke, toilette,… so, wie es mir passt.

Darüberhinaus radle ich alleine bewusster. Aber alleine döse ich manchmal auch ungeniert vor mich hin. Alleine denke ich länger und weiter nach. Aber alleine vergesse ich mich auch eher in der landschaft, verliere das gefühl für zeit und strecke. Alleine bin ich oft ganz in gedanken, aber immer mir nahe. Alleine ist die unabhängigkeit am größten. Alleine bin ich auf meinem weg.

Image  Petruskirche in Antakya

Wer jetzt denkt, ich würde nur noch alleine radeln wollen, irrt. Ich bin froh, wenn ich wieder mit Markus zusammen fahren kann. Die praktischen vorteile wiegen einfach schwerer als jede freiheit.