KRIECHEN LAND

Die fortbewegung eines menschen auf einem zweirädrigen durch menschliche kraft angetriebenen fahrzeug kann ich nicht mehr radfahren nennen, wenn man mit 7 oder 8 km/h dahin schleicht und sich dabei so anstrengen muss, wie ich das an den ersten drei tagen in diesem heißen, bergigen und zu mir nicht besonders gastfreundlichem land über stunden getan habe. In Platt nenne ich das „schravele“. In deutsch ‚kriechen’– wegen des wortspiels.

Es fängt an an dem leeren, riesigen, ungenutzen, häßlichen grenzübergang. Der zollbeamte kopiert mürrisch meinen pass. ‚Havert jetzt Selfkant‘ will er nicht eintragen. Ist ihm wahrscheinlich zu lang. Aber so steht’s nun mal da als geburtsort. Schließlich kritzelt er irgend etwas ab.

Geldwechseln kann ich am grenzübergang nicht. Mazedonische Dinar sowieso nicht. Nirgendwo in Griechenland. Wie ich gelesen habe, ausschließlich bei der National Bank of Greece. Okay, die ca. dreißig euro, die ich noch als dinar hab, hol ich mir dann irgendwann.

Florina ist die erste kleinstadt, in die ich komme. Eine filiale der National bank of greece gibt’s. Aber sie tauschen mir die dinar nicht um. Als ich frage warum nicht, meint die hinzu gekommene filialleiterin ganz trocken, sie mache nicht die regeln und außerdem gäbe es dieses Mazedonien nicht. Hier sei Mazedonien. Als ich ihr die 1800 Dinar als röllchen auf den tresen schmeiße und sage: „Hier, ich schenke sie Ihnen!“, bleibt sie wieder cool lächelnd die überlegene: „Ich will sie nicht.“, lehnt sie spitz ab, dreht sich um und geht in ihr büro.

Ihr englisch war ja ganz ordentlich, sicher besser als meins. Die übrigen angestellten aber können wieder mal gar keins. Zumindest behaupten sie das und nicht nur sie. Fast jeder hier sagt, er könne höchstens ein bisschen englisch verstehen, aber nichts sprechen. Dabei lernen sie es auf der schule. Nur ganz selten radebrecht mal jemand – meist frauen – mit mir herum, einfach, um mir zu helfen.

Männer dagegen reagieren eher ungehalten. Ein Typ in einem internet-café sagt mir wörtlich: „Greece, we are in Greece.“ Spielt den chef im internet-café, aber bringt keinen korrekten englischen satz heraus. Ich kann nur annehmen, sie schämen sich. Aber viele wirken auch ein wenig arrogant. Wahrscheinlich kommt beides zusammen. Mich macht das ungehalten.

Schließlich versuche ich in dem städtchen einen radladen zu finden, in dem jemand meinen frelauf repariert. Es ist 10 nach 1. Der laden zu. Klar. Warten bis 5 oder sogar 6 uhr? Dann könnte ich heute nicht mehr weiter fahren. Lieber gleich weiter in die nächste stadt. Da soll es auch einen radladen geben, behauptern ein paar schüler mit mountainbikes, die zunächst fast ängstlich wegfahren, als ich sie in englisch anspreche und bis auf einen jungen total verlegen bleiben.

Die landschaft erinnert jetzt an die Jülicher Börde: abgeerntete weizenfelder, gerade neue straßen und braunkohle-kraftwerke. Nur hügeliger ist es und eben 35 grad warm.

Der warme wind kommt mir aus den bergen voll entgegen. Ich krieche wieder. Aber ich gebe auch nicht mehr alles. Ich bin wütend.

Die neue nationalstraße ist eine breit und glatt ausgebaute nicht über 5 % ansteigende lkw-straße. Die fahren an mir vorbei wie die irren. Aber ich komme auf diesem schier endlosen waschbrett einfach nicht von der stelle. Bei solchem wind und solcher laune schon gar nicht. Irgendwo muss die alte staße noch verlaufen. Zwar hin und wieder etwas steiler, aber schmal und kurvig und meistens durch böschungen vor dem wind geschützt. Aber die finde ich nicht. Nein, ich muss hier auf dieser häßlichen, weil frisch frei gebaggerten autostraße ohne jedes grün durch die immer noch heißen felder kriechen. Ortschaften gibt es auch keine an dieser straße. Zum glück habe ich genug obst und getränke mit.

Erst kurz vor 7 bin ich in Ptolemaida. Die geschäfte sind immer noch zu. Es ist mittwoch, sagt mir dann jemand. Mittwochs nachmittags und donnerstags nachmittags sind alle läden zu. Ich könnte die Griechen. Auf den schreck muss ich erstmal was essen: Souvlakia (vom kalb), pommes und salat an einer fast food bude mit plastik geschirr. Dazu ein fläschchen Amstel. Jetzt geht’s wieder besser.

Camping gibt’s nicht. Privatzimmer auch nicht. Billigstes hotel der stadt? Niemand kann mich verstehen. Niemand kann (will?) mir helfen. Bis auf die frau im parkplatz-wärterhäuschen. Sie zeigt mir eine private englisch-schule. Sie meint, dort müsste man ja englisch verstehen.

Und ob! Die drei damen packen sofort mein problem an: Telefonieren mit vier verschiedenen hotels und buchen auch gleich das günstigste (20 € mit frühstück + 2 € taxes). Da es inzwischen schon dunkel ist und das institut jetzt ohnehin schließt, bringt die jüngste der damen mich persönlich zu fuß zum hotel. Als wir das etablissement von außen sehen, entschuldigt sie sich per augenaufschlag bei mir und raunzt mir zu: „Sie wollten das billigste.“ Ich beruhige sie und bedanke mich ganz herzlich bei ihr. Sie küsst mich links und rechts auf die wangen, wie es hier üblich ist, und geht. Ich nehme das rad mit aufs zimmer, eine spärliche dusche und krieche ins saubere bett. Ohne mich genauer um zu schauen. Ich glaube, ich würde mich sonst wieder ziemlich aufregen.