MEER NÄHE

Erdine, 19. 04. 09

„Oliven-Riviera“, dieser werbewirksame name für den küstenstreifen nördlich von Izmir passt zu den graugrünen olivenhängen, die mich in den bergen um Aliaga, Bergama und Ayvalik umgeben. Im ersten küstenabschnitt zumindest fühle ich mich aber eher in die Emilia Romagna versetzt. Die küstenstraße wellt sich nur leicht. Kein Poggio. kein Col d’Eze. Mehrere flache buchten breiten sich aus weiten flusstälern ins schlammige meer. Gemüse, obst und getreide werden indorfnähe angebaut. Milchkühe weiden auf den sanft geschwungenen wiesen. Außer den oliven erinnert da nichts an Riviera.

Der frühling hat schon alles zum blühen gebracht. Die feigenbäume treiben knospen. Gleichzeitig zeigen sich die neuen früchte. In den olivenhainen immer wieder verkaufsstände mit allem, was man aus oliven gewinnen kann. Morgens ist es schon so warm, dass ich in kurzer hose und sommertrikot antrete. Die strecke bleibt auch abseits der küste nur leicht gewellt. Immer wieder bieten sich durchblicke aufs meer. Der wind spielt wieder mit. Es rollt. Radlerträume erfüllen sich.

Der verkehr ist mäßig auf der 550. Es sind auch im frühjahr schon viele busse unterwegs nach Pergamon und Troja. In Bergama werde ich schon am frühen nachmittag einziger campinggast auf einem erstklassigen platz.

Heißes wasser zum duschen und spülen, sogar eine waschmaschine ist vorhanden. Ohne gepäck radle ich erst ins viel besuchte städtchen mit all dem touri-rummel, den man in solchen orten ertragen muss. Die ‚Rote Basilika‘ schaue ich mir an.

Dann nehme ich den langen gleichmäßigen anstieg zur Akropolis. Um die herrlichen ausblicke auf Bergama und den stausee zu genießen, halte ich immer wieder an. Doch nicht, weil ich müde bin! Für die Akropolis bleiben mir noch fast zwei stunden.

Auf dem rückweg ziehen dunkle wolken auf. Der platzwart warnt mich vor gewitter. Mein zelt spanne ich noch mal nach. Mein gepäck verstaue ich im Zelt. Mein rad bringe ich in den Waschraum. Erst um zwei uhr nachts donnert und blitzt es. Schlimm wird’s aber gar nicht. Nach einigen lauten schlägen und einem heftigen guss kehrt schon wieder ruhe ein. Morgens muss ich halt warten, bis mein außenzelt wieder getrocknet ist. Da die sonne heute fehlt, dauert das.

Der tag bleibt grau und kühl. Auf dem flachen weg an der küste  komme ich gut voran. Ab mittag sieht’s wieder nach regen aus. Burhaniye erreiche ich noch trocken. Als es abends in strömen regnet, bin ich froh ein zimmer im hotel zu haben.  Am mittwoch morgen regnet es immer noch. Nach 15 km sind die ärmel der gelben regenjacke schon durchnässt. In der zweiten dichteren jacke schwitze ich zwar mehr, aber bleibe trocken von außen. Nach 60 km dreht die route aufwärts – von der küste in das Kuz Dagi gebirge, einem naturpark. Der anstieg ist trotz der länge und feuchtigkeit, die in den bergen hängt, gut zu schaffen. Hier oben wachsen kiefern statt oliven. Noch höher folgen almenähnliche weiden. Es hört auf zu regnen. Die sonne lässt sich wieder blicken. Ein wenig wind kommt auf richtung Troja. Die ausgrabungen der sagenumwobenen stadt des Priamos schaue ich mir erst am donnerstag an.

Von Troja zu den Dardanellen bei Cannakale sind es nur noch wenige rasante km runter zum meer. Frühling allenthalben. Der hafen ist voller menschen. In überfüllten einkaufsstraßen, cafés und auf den plätzen und terrassen flaniert und parliert jung und alt. Viele in sommerlicher kleidung. Mehrere schulklassen ziehen musizierend oder singend durch. Die beiden lehrer, die ich frage, können mir in englisch nicht erklären, was sie feiern.

Dann sehe ich auf der anderen Seite der Bucht ein Transparent mit dem heutigen Datum mit der Jahreszahl 1915. Bei Wikioedia finde ich darunter die „Schlacht von Gallipoli“, an die in der Türkei als „Krieg um Canakkale“ alljährlich erinnert wird. Nach der an der Meerenge gelegenen Stadt ist erfolgreiche Abwehr eines Flottenangriffs der Entente am gefeiert und damit der erste Sieg des Osmanischen Heeres im Ersten Weltkrieg.

Vor der fähre warten die autofahrer in zwei reihen auf die überfahrt. Von Asien nach Europa dauert auch für mich nur 30 minuten und kostet nicht mal einen euro.

An das hochgefühl beim ersten betreten Asiens kann ich mich noch gut erinnern. Jetzt schiebe ich einfach mein rad über eine eisenplatte auf die holprige zufahrt nach Ezeabat.

Der erfreulichste unterschied zwischen dem europäischen und dem asiatischen teil der Türkei ist die bessere qualität des asfalts in Europa. Anscheinend gibt’s irgend einen beschluss, die straßen diesseits mit glattem bitumen zu beschichten, während tausende km landsraße jenseits in steinigem grobasfalt belassen bleiben. Vergeblich warte ich auf die stelle, an der ich auf der langezogenen schmalen halbinsel bei Gelibolu auf beiden seiten das meer sehen kann. Die straße führt zwar über die höhen. Aber die Entfernung zum Ägäischen Meeer ist doch zu groß.

‚Limburgs heuvelland‘ drängt sich mir auf beim anblick der sanften grünen hügel, der obstwiesen und äcker. Sogar die eichen finden sich wieder. Nur die moscheen und die meeresbuchten zeigen, dass ich noch nicht zuhause bin.

Auf einem kleinen, naturbelassenen campingplatz in Cennetköy schlafe ich. Wieder am meer. Zum letzten mal am meer auf dieser reise. Ich werde es vermissen. Nach so vielen nächten mit dem rauschen der wellen. Aber wieder in Europa. Nach einem halben jahr.