MITTEL GEBIRGE

Dietz, 21. 05. 2009

Böhmerwald, Vogtland, Oberpfälzer Wald, Thüringer Wald, Vogelsberg, Rothaargebirge, Gladenbacher Bergland, Siegerland, Westerwald, Eifel. Die reihenfolge dieser mittelgebirge gibt etwa die route wieder, die ich auf meinem rückweg durch Deutschland nehme. Eher zufällig, kurz entschlossen. Unterwegs entscheide ich spontan. Alle durchradelten gebiete gefallen mir. Jedes hat seine reize. Alle ähneln sich. Überall grün, überall wald, überall wasser, überall fachwerk.

Ruhig ist es in mitteldeutschen mittelgebirgen. Beschaulich geht’s zu in den dörfern und städtchen. Wenig arbeit, wenig verkehr, wenig hektik. Auf erholung liegt der schwerpunkt. Immer wieder treffe ich ältere wanderer an rastplätzen und aussichtspunkten. Gemütlich radelnde gruppen in den flusstälern. Fast ausschließlich aus der generation ’best age’.

Großstädte meide ich weiterhin. Weimar und Eisenach will ich aber seit langem besuchen. Da nehme ich doch gleich die ganze „Städte-Kette“ mit, wie die thüringische touristik-werbung die 225 km lange radroute von Altenburg über Gera, Jena, Weimar, Erfurt und Gotha nach Eisenach nennt. Plauen, Gera und Gotha erscheinen mir eher langweilig.

Von Weimar bin ich begeistert.  Welch vielseitiges kulturelles angebot die stadt allein in diesem frühsommer zu bieten hat! Und doch bleibt bei aller vielfalt und den zahlreichen ausländischen touristen alles überschaubar, leicht zugänglich, offen. Eine liebenswürdige, ungezwungene und heitere atmosphäre liegt über der stadt trotz aller klassik.

Wegen des KZ Buchenwald bleibe ich noch einen tag länger in Weimar. Unfassbar, grauenhaft! Vor allem die kalte bürokratische systematik der vernichtung und der sadismus in der sprache der nazis lassen mich den ganzen tag schaudern. Die nähe des lagers zu dieser kulturhochburg Weimar macht mir besonders zu schaffen. Immer wieder denke ich, diese gräuel so nah neben so viel kunst, musik und literatur. Weimar verliert bei mir an leichtigkeit durch Buchenwald – nicht an attraktivität.

Erfurts altstadt finde ich beeindruckend mit der überbauten Krämerbrücke und dem imposanten Mariendom, dem historischen rathaus und den vielen patrizierhäusern. In der ehemaligen residenzstadt Gotha radle ich nur an der barocken schlossanlage Friedenstein vorbei, weil ich heute bis Eisenach kommen möchte.

Da ich noch kein zimmer habe, radle ich mit gepäck zur Wartburg hoch. Das letzte stück pflasterweg ist richtig steil. In der burg viele unterschiedliche besucher-gruppen: ältere sächsische bus-tagesausflügler, die vom taxi nach oben gebracht werden, norwegische bildungsreisende, die den ort besichtigen, an dem Martin Luther die bibel übersetzte, süddeutsche katholiken, die mit einer fremdenführerin die wirkungsstätte der hl. Elisabeth besuchen, radfahrer, die sich von dem anstieg heraus fordern lassen. Heute sind besonders viele jugendliche sportler hier, die den herrlichen ausblick genießen. Morgen startet nämlich der Rennsteiglauf in Eisenach. Maximal 72 km werden sie durch den Thüringer Wald laufen. Bei über 2000 teilnehmern fällt es mir erstmals schwer, ein günstiges zimmer zu buchen. 

Ansonsten hab ich bei der suche nach unterkünften glück. Für kleines geld finde ich gute, mehrfach besonders nette zimmer und wirte/wirtinnen, die über den ‚normalen’ service hinaus ihren gästen oft ein kleines extra bieten: In der JH Tatlitz wird mir – einziger gast – das überaus reichliche abendbrot und selbst das frühstück auf der terrasse über dem stausee gedeckt. In der JH Plauen kann ich meine regennassen klamotten in den trockner stecken und mein rad darf wegen des miesen wetters drinnen bleiben. In der pension Hartmann in Weimar ist nicht nur der frühstückskorb reich gefüllt und hübsch dekoriert, sondern neben tv, radio und cd-player finde ich viele interessante bücher und zeitschriften in meinem zimmer. Mein velotraum steht im abgeschlossen raum vor der sauna. Duschen kann ich mit  einem shampoo aus einer nostalgisch-witzigen DDR-flasche.

In Bad Köstritz ist dienstags abends schon alles zu. Bis auf den ‚Frosch’ – einer niedrigen, uralten, kleinen dorfkneipe gleich neben der großen brauerei – in der ich mir zwei große schwarzbiere zu einer thüringischen bratwurst und bratkartoffeln schmecken lasse. So deftig fett habe ich lange nicht gegessen. Die junge wirtin organisiert mir auch noch ein zimmer in einer pension, in der ich schlafe wie ein stein.

Auch in den alten bundesländern komme ich stets gut unter. In Alsfeld in einem altem unrenovierten gasthaus – der günstigen dependance eines drei sterne hotels. In Biedenkopf in der JH allein in einem vier-bett-zimmer auf der ersten etage, während die belgischen schulklassen im anderen trakt herum toben. In Burbach in einem dörflich, gemütlichen gasthof, dessen wirtin wegen eines kurzurlaubs über das lange himmelfahrt-wochenende schon schließen will, mich dann aber doch noch für eine nacht auf nimmt, bevor sie am nächsten morgen nach belgien zur see fährt.

Im quellgebiet der Sieg, Lahn und Eder treffe ich einen köhler bei seiner arbeit am meiler. Geduldig erklärt der schweißnasse fachmann mir den kompletten ablauf der holzkohle-herstellung, ohne seine Schaufel aus der hand zu legen. Über die Lahn-Ferien-straße radle ich nach Siegen, wo ich einen besonders gut sortierten velotraum-händler besuche.

Marburg, Siegen, Dillenburg, Wetzlar, hübsch gepflegte städte an Lahn, Dill oder Sieg. Alle mit burganlagen über den alten stadtkernen mit ihren rot- oder schwarz-weißen fachwerkhäusern. Überall bummeln einheimische und ausflügler durch die engen, steilen, blumen geschmückten gassen. Viele genießen bei einem eis oder einem bier den warmen frühling – auch schon vor dem langen wochenende. Nicht nur rentner oder ältere schlendern durch die fußgängerzonen. Familien, pärchen, einheimische, ausländische, jugendliche alle wollen in die sonne in ihrer freizeit. Für manche ist’s nur eine kurze mittagspause. Andere sitzen und schlemmen ausgiebig auf einer der terrassen.

Wie viele menschen hier zeit haben, sich zeit nehmen für ein gespräch, eine gemeinsame mahlzeit, einen spaziergang! Geht’s in der mite Deutschlands immer noch ruhiger zu als im Rhein-Ruhr-gebiet? Ist der lebensrhythmus hier anders? Oder nehme ich das jetzt nur anders wahr, weil ich mir selbst mehr zeit lasse?

Oder hat etwa ein umdenken statt gefunden? Haben krisenzeiten, finanznöte und massenarbeitslosigkeit wert und sinn der freizeit verändert? Nutzen die vielen teitarbeiter, neben- und unter-beschäftigten, die millionen kurzarbeiter und teilzeitkräfte ihre freie zeit anders? Können arbeitslose ihr freigestellt sein überhaupt genießen?

Oder beeinflussen etwa menschen mit migrationshintergrund  unser freizeitverhalten? Lernen wir von ihnen unsere arbeit, unseren alltag gelassener anzugehen? Schauen wir bei ihnen ab, wie sie täglich relaxed zusammen sitzen, miteinander reden und leben? Am feierabend, aber auch im beruf, neben ihrem job und vor ihrem geschäft. Oder will ich das jetzt so sehen, weil ich diese lebensart auf meiner reise immer wieder erlebt und genossen habe? Jedenfalls werde ich in zukunft die entschleunigung meines lebens sehr ernst nehmen.