MU RAD

Cesme, 11. 04. 09

Mit nach vorne gestreckten armen und nach unten geöffneten händen auf und ab winkend, damit ich meine wahnsinnstempo drossele, ruft er mir vom bürgersteig aus zu:„Stop, please, stop! I’m also cyclist.“ Stolz zeigt er auf das neben ihm stehende blaue Trek-hybrid-rad. Ich halte an. Murat – englisch-lehrer an einer highschool in Cesme – will erstmal gar nichts von mir wissen, sondern bietet mir spontan seine gesellschaft und hilfe an. Am samstag und am sonntag könnte ich ihn anrufen, wenn ich lust hätte mit ihm rad zu fahren. Gern würde er mir die gegend um Cesme, die interessantesten dörfer und schönsten strände zeigen. An werktagen hätte er nach vier uhr zeit. Radläden in der region könnte er mir empfehlen, wenn ich evt. ersatzteile bräuchte oder etwas reparieren lassen möchte. Wenn ich irgendwo auf meinem weg durch die Türkei Hilfe nötig hätte, könnte ich auf seine in der gesamten Türkei zu findenden 23.000 vereinskollegen zurück greifen, die alle – wie er – mitglied seien im größten türkischen radfahrer-forum. Ich bedanke mich für die freundlichen angebote. Wir speichern aber erst mal nur wechselweise unsere telefonnummern. Die zwei nächte, bis Elfi kommt, schlafe ich in der bescheidenen, aber gepflegten Pansiyon Ayhan. Samstag erkunde ich schon mal die lage des Sisus-hotels, in dem Elfi und ich eine woche wohnen werden, und die umliegenden strände und buchten.

Am sonntag morgen fahre ich schon um 9.00 uhr richtung hotel. Auf der gegenfahrbahn kommt mir Murat auf seinem Trek entgegen. Gleich springt er mit dem rad über den grünstreifen und erzählt mir, dass er auf meiner website vergeblich versucht hätte, was zu lesen. Aber anhand der ländernamen, karten und fotos könne er sich zusammen reimen, welche route ich geradelt bin. So bemerkenswert findet er die, dass er darüber in dem radforum schreiben möchte, was ich ihm gerne erlaube.

Murat wohnt ganz in der nähe des Sisus-hotels. Wieder lädt er mich ein, mit ihm zu radeln. Ich solle nur vorher anrufen. Das wetter macht aber leider einen strich durch unsere pläne. Von sonntag mittag bis dienstag abend regnet es immer wieder. Aber ab mittwoch ist es sonnig und warm. Strandwetter. Das Sisus-hotel liegt am hafen von Dalyan. Zum ortskern nach Cesme und zu den stränden von Ilica oder Alacati müssten Elfi und ich bus oder taxi nehmen. Ein fahrrad für Elvira wäre hilfreich. Das Sisus kann Elvira kein rad besorgen. Der mtb-verleih in Cesme hält noch winterschlaf. Als wir am mittwoch zu fuß durch das städtchen bummeln, hupt und winkt jemand aus einem Renault. Murat steigt aus und freut sich Elfi kennen zu lernen. Wir fragen ihn, ob er einen radverleih in der nähe kennt. Prompt meint er, Elfi könne sein rad haben. An den regentagen sei er zwar auch nicht gefahren, aber jetzt habe er unterricht. Insgesamt nur 18 stunden in der woche, aber donnerstags und freitags jeweils bis halb vier. Da brauche er an den nächsten beiden tagen das rad nicht. Heute abend gegen sechs will er uns anrufen.

Nach seinem telefonat finden wir ganz schnell zu seiner wohnung. Banu, seine attraktive Frau, umarmt Elfi gleich herzlich zur begrüßung. Özleme, die 11jährige tochter verliert rasch ihre anfängliche schüchternheit. Auch mit ihr können wir uns auf englisch verständigen. Banu ist auch englisch-lehrerin. Während Murat und ich übers radfahren fachsimpeln, unterhalten sich Elvira und Banu mit dem mädchen, über kinder, schule und erziehung. Die beiden frauen scheinen sich auf anhieb zu mögen. Banu ist eine besonders warmherzige, offene Frau, die für türkische verhältnisse eine fortschrittliche lebensart pflegt. Wir wundern uns nur, als wir hören, dass sie nie rad fahren gelernt hat. Halb elf ist es, als wir mit Murats fast neuem rad ins hotel zurück fahren. Wir haben darauf bestanden, dass wir es nur an den beiden werktagen ausleihen, damit er am wochenende selbst damit fahren kann.

Zwei herrliche radtage ermöglicht Murat uns mit seiner großzügigen leihgabe. Durch die hügellandschaft um Cesme radeln wir von einer stıllen bucht zur anderen. Wir picknicken, wo es uns gefällt, liegen in der sonne, trinken tee in urtümlichen dorfcafés, baden in den warmen quellen von Ilica, sonnen an den noch leeren stränden.

Auf unserem rückweg zum hotel treffen wir am freitag Banu und Murat auf ihrem spaziergang ins städtchen. Nach sechs sollen wir das rad erst zurück bringen. Mit einem puzzle für Özleme – sie hat uns erzählt, wie gerne sie schwierige puzzle legt – und zwei taschenbüchern für Banu und Murat klingeln wir pünktlich. Wir bleiben nicht lange. Wieder fühlen wir uns sehr wohl.  Das mädchen freut sich über das geschenk. Banu ist angetan von den büchern, die sie zwar nicht besitzt, aber schon gelesen hat. Wir finden das schade und möchten die bücher umtauschen. Aber sie will sie unbedingt behalten. Murat schenkt mir dann ein – wie er meint – „wundertuch“. Er zeigt mir auf ungewollt lustige art, wie vielseitig ich es beim rad fahren verwenden könnte.

Zum schluss verraten sie uns vor glück strahlend, dass Banu schwanger ist. Im september soll höchst wahrscheinlich ein junge die familie komplettieren. Jetzt verstehen wir, wieso Banus ohnehin herzliche austrahlung uns so besonders beeindruckt. Nicht nur mutter und tochter, auch der eher nüchterne Murat bleibt noch lange auf dem balkon und winkt uns mit beiden händen nach, als wir zurück zum hotel gehen. Sie scheinen genauso froh und angenehm berührt wie wir von dieser türkisch-deutschen begegnung. Nachdrücklich halten wir für uns fest, dass Murats geste keine selbstverständlichkeit war. Wir bezweifeln sehr, dass wir unser neues rad einer zufälligen bekanntschaft nach zweimaligem sehen für mehrere tage ausleihen würden. Höchstens den „velotraum“, denn der ist ohnehin nach der reise renovierungsbedüftig.