MULTI TALENTE

Toskana ohne wein, Norwegen ohne regen, Costa Brava ohne deutsche, das ist Montenegro. Montenegro hat auch ‚billig-tourismus‘ an der wunderschönen felsigen küste mit kitsch- und konsumrummel, plastikmüll und autoschlangen. Montenegro hat bergregionen mit unglaublichen fernsichten aufs meer, entlegene dörfer mit weiß getünchten moscheen und gastfreundliche menschen, die ihr gemüse und obst anbieten aber gerne fleisch essen. In Montenegro stapeln sich überall schrottautos, die als ersatzteillager dienen, fotografiert auch jeder zweite mit dem handy und hat den euro eingefuehrt, obwohl kein eu-mitglied. Alle wichtigen banken und alle großen tele-kommunikations- und autokonzerne haben großflächige werbung installiert. VW-Audi hat z.b. entlang der küste im konzerneigenen alu-design gestylte wartehäuschen des linienbusverkehrs gesponsert.  In Montenegro kostet ein espresso 80 cent im restaurant. Ein weißbrot, ein glas marmelade und einen liter joghurt gibt’s zusammen für 2,60 €. Montenegro hat alle chancen – aber die, seine schönheiten dem tourismus zu opfern, ist verdammt groß.   

Am flughafen in der nähe von Tizat holen mich drei junge Österreicher ein. Manuel, musikstudent und sprecher der drei, ist eine speiche im hinterrad gerissen. Er sucht eine reparaturmöglichkeit, schnitzt aber auch originelle schachfiguren und spielt saxophon, wie er sagt. Alle instrumente spielt er, sagen die anderen beiden. Martin, bassgitarrist, akrobat, jongleur und einziger alles esser der drei, transportiert sein gepäck mal im rucksack, mal auf dem gepäckträger. Zwischendurch läuft er mal eben auf den händen über die straße, wenn sein bewegungsbedürfnis noch nicht gestillt ist. Er studiert irgendwas ökologisches. Gregor, eher still und in sich gekehrt, macht ein ingenieurstudium. Aber auch reggea musik mit den anderen beiden in einer band, kocht jeden tag leckere gerichte aus gemüse, nudeln, reis oder hülsenfrüchten für sich und die anderen, die auch noch in anderen bands spielen. Ihre freiluft-leidenschaft ist klettern. Darum baumeln an jedem gepäckträger solche dünnen kletterschuhe an großen karabinerhaken. Und darum radeln sie jetzt nach Korfu. Denn da können sie von einem selbstversorgerhof aus „bouldern“. Frei klettern in absprunghöhe, kann man es wohl umschreiben. Dass sie abends irgendwo ‚wild‘ kampieren oder am strand im schlafsack pennen – selbst, wenn ‚Gelsen‘ sie zerstechen  – passt zu den dreien. Dass ich zu ihnen passe, kann ich mir weniger gut vorstellen.

Aber ich hab ja ein bisschen bammel vor Albanien, weil ich auch nichts gelesen habe über das land. Ich sag das auch den dreien bei einer der ersten pausen, in der Manuel mit einer bei einem geschlossenen gebraucht-fahrrad-laden in Budva aus einem defekten hinterrad entnommene, zulange speiche vergeblich versucht sein rad zu reparieren. In seinem Albanien-reiseführer kann ich dann nachlesen, wie sicher das land für reisende und wie groß die dortige gastfreundschaft ist. Für die drei soll Albanien der höhepunkt ihrer radreise werden. In ihrer gesellschaft und bei ihrer einstellung fühle ich mich schon viel wohler.

Ausnahmsweise – wahrscheinlich weil ich gesagt habe, ich dusche abends so gerne – schlagen wir die zelte auf einem campingplatz auf. Auch direkt am meer. Aber ohne mücken. An der rezeption, beim anblick der dauer-camper-wohnwagen und schließlich beim aufsuchen der sanitäranlagen habe ich immer den gleichen gedanken: Ein glück, dass Herbert das nicht sieht!

Zur abkühlung und erfrischung schwimme ich noch im meer. Fast im dunkeln und fast alleine. Dann dusche und rasiere ich mich. Nach den obligatorischen nudeln, putze ich mir die zähne und gehe auch zur toilette. Dabei entdecke ich eine gelenkigkeit und haltekräfte, die ich bei mir nicht mehr erwartet hätte. Wenn ich mir nur noch dabei die nase zuhalten könnte! Nach dem frühstück am nächsten morgen trinke ich aber einen abschließenden espresso im café vor dem campingplatz. Damit ich dort die toilette benutzen kann.

Nach 11 uhr radeln wir erst weiter richtung Bar. Immer noch auf der suche nach einem radladen. Der findet sich auch nach vielem fragen und sehr unterschiedlichen weg-beschreibungen. Auf dem bürgersteig vor dem laden sitzt der lustlos wirkende mechaniker. Er schüttelt gleich verneinend den kopf. Die kettenratsche zum gegenhalten des ritzelpakets fehle ihm, macht er uns klar. Dennoch steht er auf, als auch ich mein rad an der außenwand anlehne. Nach einigem suchen kommt er mit einem kettenstück heraus. Er schlingt es um das mittlere ritzel. Ich halte die beiden enden mit der rohrzange fest. Mit dem passenden abzieher löst sich der block mühelos. Nach einigen geschickten handgriffen und überraschend wenigen umdrehungen mit dem nippelspanner ist die neue speiche, die er zielsicher aus einem losen bündel verschiedener längen herausfischt, eingedreht und das rad justiert. Alles in der hocke auf dem bürgersteig. Abgeschlossen mit einem stolzen, fast zahnlosen lächeln unseres ‚maestro‘, wie wir ihn lobend auszeichnen. Währenddessen muss Manuel die ganze zeit sein beladenes hinterrad hochhalten. Und dann zwei € zahlen. Er gibt fünf.

An meinem rad greift die schaltung nicht mehr sauber, weil ich die zughülle am hinteren schaltwerk mit der tasche abgeknickt und beschädigt habe. Der zug rutscht nicht mehr reibungslos durch. Ich zeige dem meister ein wenig verzweifelt die defekte stelle. Sofort nickt er, löst den zug, holt eine passende hülle mit neuen aluenden und tauscht sie aus. Jetzt muss ich das hinterrad anheben. Manuel dreht die kurbel. Der radzauberer justiert die spannung. Wieder alles in der hocke. Wieder dauert die reparatur keine 10 minuten. Wieder kostet sie zwei €. Wieder bekommt er fünf.

Bevor wir uns total happy und immer noch verwundert verabschieden, erzählt der radmechaniker noch, dass er mal in Linz/Österreich gelebt habe und deshalb etwas deutsch spricht und versteht. Das haben wir bei seiner arbeit nicht bemerkt. Aber die erledigt er perfekt – ohne zu reden.