NACH FRAGEN

Woher? Wohin? Wie lange schon unterwegs? Allein? Die fragen, die mir gestellt werden, ähneln sich. Die Mazedonier aber hängen jedesmal ihr politisches glaubensbekenntnis dran.

Aus einem Ford Fiesta sprechen mich zwei junge Mazedonier gleich am zoll an: Zuerst die üblichen fragen, dann: „Mazedonien wird dir gefallen. Da ist es viel schöner als in Albanien. Die straßen sind besser, die häuser, das leben. Wir Mazedonier machen das. Auch wenn Westeuropa uns immer noch probleme macht. Die sollen mal lieber gucken, was in anderen ländern passiert. Wenn du z.b. in der Türkei bist, pass bloß auf deine sachen auf….

In Struga biege ich zum see ab. 100 m vor dem strand hält eine Harley-Davidson neben mir. Tragan Filoski fragt als erstes freundlich, ob er mir helfen kann. Zimmer für eine nacht? „No problem!“

Er ruft quer über die straße. Schon öffnet sich eine tür. „My cousine!“ Mit ihrem kleinen sohn. Sie vermietet im ersten stock einen mit dunklen vorkriegsschränken und vier stahlbetten möblierten raum. Nebenan waschbecken, ganz kurze hohe wanne, klo mit gußeisernem spülkasten drüber und kette dran. Die waschmaschine darf ich auch benutzen. Sieben euro muss ich zahlen. Ohne frühstück.

Trajan, seit fünf jahren in Toronto Kanada lebend, macht z.z. mit seiner frau urlaub bei mutter und schwestern. Die Harley gehört einem freund.

Mein rad kommt durch den flur hinters haus. Ich geh erst mal schwimmen. Danach ins restaurant Montenegro. Trajans tipp. Die eigentümer sind auch „relatives“. Morgen früh geht er mit mir zu einem radmechaniker. Mein freilauf macht nämlich probleme und vor allem komische knarrende geräusche.

Im restaurant bin ich der einzige gast, genieße die ungeteilte aufmerksamkeit der inhaberin. Die forelle aus dem Ohridsko-see ist klasse. Kartoffeln und salat okay, der Alexandria-wein mir etwas zu süß.

Der fisch dauert – also die ähnlichen fragen und dann: „Wie gefällt Ihnen Mazedonien? Ist es nicht ein schönes land? Mazedonien hat so guten wein. Den besten, weil wir so viel sonne haben. Mazedonier sind so freundliche und herzliche leute. Auch wenn uns Westeuropa wie terroristen behandelt, (Ihr sohn hat kein visum für einen sechsmonatigen kurs an einer privaten hochschule in Wien bekommen). Gut, früher war es noch besser. Tito-Jugoslawien war ein paradies: keine kriminellen, kein kindesmissbrauch, keine homosexuellen. Jetzt ist alles viel schwerer geworden. Früher hatte jeder einen job. Alle genug geld. Jedes wochenende sind wir nach Griechenland zum einkaufen gefahren. Es hat an nichts gefehlt. Heute noch würde ich das restaurant hergeben für das alte Jugoslawien. Alle gäste aus Holland, Finnland und auch Deutsche sagen, Mazedonien ist so schön. Sie kommen jedes jahr wieder.“ – Ich werde nie mehr zu ihr essen gehen.

Die beiden mit Trajan am nächsten morgen aufgesuchten radmechaniker können mir nicht helfen. Ein 9-fach ritzelpaket führen sie nicht. Aber ich kann eigentlich bedenkenlos weiter fahren, behaupten beide übereinstimmend. In Skopje oder in Griechenland könnte ich vielleicht etwas passendes finden, meinen sie.

Im café an der fußgängerzone kennt wirklich jeder zweite Trajan und hält ein pläuschchen mit ihm. Er bestellt zwei espresso. Auch er stellt ähnliche fragen. Und dann: „To live in Macedonia is very special.“ In Toronto verdiene er zwar ’ne menge geld mit alurahmen, hätte fünf angestellte. Seine frau arbeite in einer fabrik für raumfahrt-technik. Aber das machten sie höchstens noch fünf jahre. Dann wollen sie sich ihren traum verwirklichen: ein appartementhaus hier am see. Das grundstück besäßen sie schon. Dann könnten sie wieder hier leben.

Nach dem espresso fragt er mich, wie ich Struga fände. Ich weiche aus. Er lobt das städtchen, den see, das leben hier. Dann erzählt auch er von dem Tito-paradies. Er fuhr damals nicht nach Griechenland, sondern nach Italien zum shoppen. Geld war kein problem. Dass man nicht wählen konnte – na und ? Auch die heutigen parteien böten eigentlich keine echte wahlmöglichkeit. Das system früher war streng, aber… Dann folgen wieder: keine kriminalität, vollbeschäftigung, günstige mieten, niedrige preise usw. Sogar die warnung vor den klauenden Türken kommt nochmal.

Tags drauf in Resen warte ich auf eine blätterteigtasche mit ziegenkäse an einem kiosk: ein älterer, lauter mann, früher in Wien als ober beschäftigt, schon 14 Jahre arbeitslos, fragt auch das übliche. Als er hört das ich aus Deutschland komme, lobt er erst die deutsche wirtschaft
und fängt dann an zu schimpfen. Auf diese „scheiß-kanaken“ – anscheinend erinnert er sich nur noch an dieses deutsche schimpfwort – die alles kaputt gemacht hätten. Diese mafia hätte den besten staat der welt zerstört – das alte Jugoslawien. Ich bin froh als er von einem bekannten angesprochen wird und weiter geht.

Auf dem markt kaufe ich obst. Der kleine, dicke sohn der obsthändlerin beäugt mein rad. Er streicht sogar über die JCC-reklame auf meinen hosenbeinen. Ich setzte ihn für ein foto auf den Velotraum und bekomme von der stolzen mutter noch zwei äpfel geschenkt. Großvater kommt aus dem hintergrund lächelnd hinzu. Er fragt auf für mich schwer verständlichem englisch die gleichen fragen, um dann von sich zu erzählen: 30 Jahre in Australien als elektriker. Seit ’97 wieder hier. Von dem australischen verdienst könne er hier gut leben. Australien und auch Deutschland hätten gute strenge gesetze. Aber hier in Mazedonien… Er lacht und winkt ab. Vom Tito-staat erzählt er nichts. Er war ja auch schon ’67 weg.

Abends frage ich auf einer terrasse einfach in eine tischrunde hinein, ob jemand ein internet-café kennt. Ein etwa 40 jähriger erklärt mir in tadellosem deutsch, wohin ich fahren soll. Dann will auch er das übliche wissen und beginnt schließlich mit seiner geschichte: Schöne kindheit in Wuppertal. Als jugendlicher mit den eltern zurück nach Mazedonien. Hier einen kleinen laden gehabt. Er zeigt mir das jetzt leerstehende geschäft. Sportartikel – „Puma und Addidas und so“. Dann der krieg und die demokratie. Geschäft zugemacht. Lohnte sich nicht mehr. Keiner hat geld. „Hätten wir nur noch das alte Jugoslawien. Wir waren doch alle wie brüder zu einander. Von Rijecka bis Skopje konnte jeder mit jedem reden, überall einkaufen, überall arbeiten.“ Ob Mazedonien eine chance hat, fragt er mich zum schluss. Keine ahnung, antworte ich.

Heraklia ist eine antike ausgrabungsstätte ausserhalb von Bitula. Die eintrittsgeld- regelung ist geschäftstüchtig: 100 Dinar (1,70 €) nur gucken, 400 Dinar (6,80 €) gucken und fotografieren. Ich schaue und fotografiere die gut erhaltenen mosaike aus den ersten jahrhunderten nach Christus. Ähnliche tiermotive habe ich nur mal in Ravenna gesehen.

Von den vielen hier in einer art camp arbeitenden jungen leute, erkennt ein kräftiger kahlköpfiger kerl mit rotem Che Guevara t-shirt und jeans mich sofort als Deutscher. Bei seiner arbeit fängt er lauthals an zu grölen: „Deutschland – die ganze welt“ Dann skandiert er den Namen ‚Adolf Hitler‘. Die anderen jugendlichen schauen nicht mal hoch von ihrer arbeit. Aber er wiederholt nochmal seinen sprechgesang und meint dann: „Adolf Hitler, der beste!“ Dabei hebt er den rechten arm zum gruß. Ich frage ihn, wieso er dann dieses t-shirt trage. Abfällig wischt er darüber und sagt: „Scheiß Kuba! Scheiß Castro! Peng, peng! Erschießen!“ Dabei setzt er die Hand wie zum Schuss an seine Schläfe. Er sieht, dass ich mich ärgere, lacht mich aus und bringt seine schubkarre weg.

Irgendwie scheinen die Mazedonier mit sich und ihrem land noch nicht im reinen. Anscheinend trauern viele der jugoslawischen vergangenheit nach. Man müsste genauer nachfragen, welche objektiven gründe es dafür gibt und was davon nur auf nostalgischer verklärung beruht. Manche neigen aber auch zu selbstgefälligkeit und selbstmitleid. Da sind sie mir ja nicht unähnlich.