Nostalgie-Lokal

Kolka, 18. 08. 2014

Leider sieht am Montag in der Früh der Himmel über Abragciems grau und trübe aus. Das wird nichts mit dem Strandtag heute. Enttäuscht muss ich rasch abbauen und einpacken, sonst wird noch alles nass. Unter der überdachten Terrasse frühstücke ich erst danach. Dabei fallen schon die ersten Tropfen. Heute fahr ich nicht gerne weiter. Bis Kap Kolka liegt zwar die gleiche erholsame Straße durch den endlosen Wald vor mir, aber über mir ziehen sich fast schwarze Regenwolken zusammen, die mich mehrfach erwischen, ohne dass ich mich unterstellen könnte. In Roja muss ich was essen. Ich hab zwar erst gerade 45 km hinter mir, aber bis Kolka folgen nur noch kleinere Siedlungen, in denen ich wahrscheinlich kein Restaurant finde. Natürlich möchte ich bei diesem miesen Wetter Pausen einlegen, wenn’s regnet und die trockenen Perioden ausnutzen, um voran zu kommen. Aber die weit auseinander liegenden Einkehrmöglichkeiten und die rasch aufeinander folgenden Schauer stehen in einem für mich ungünstigen Verhältnis. Während ich zu Mittag esse scheint die Sonne, als ich weiterfahre, fängt’s wieder an zu tröpfeln.

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Dennoch bin ich froh, in diese Dorf-Gaststätte eingekehrt zu sein. Die 60er Jahre leben wieder auf, obwohl es damals solch einen Speise-Gasthof in Havert gar nicht gab. Schon gar nicht möglich war,  dass eine alte Frau mit Kopftuch ihr Mittagessen fertig kauft und in der Kneipe isst. Aber der weiße Rauhputz an den Wänden, die Keramikteller, die runde Holzuhr, die dunklen Wirtshausstühle und die kleinen quadratischen Tische, deren Span-Tischplatten lauter kleinen eckigen Holzresten zusammengepresst und nur von einer hölzernen Leiste eingefasst sind. Das hat es doch früher bei uns auch gegeben. Zu fotografieren wage ich nicht, da ich befürchte, die junge Wirtsfrau und die Gäste könnten glauben, ich mache in überheblicher Art Fotos von ihrer altmodischen Einrichtung. Dabei denke ich das wahrscheinlich nur.

Und dann das Speisen-Angebot. Die Hauptgerichte werden in einer Glastheke, wie sie früher in Metzgereien stand, im Wasserbad warmgehalten werden: Soljenka, der hier überall erhältliche Gemüseeintopf mit Würstchen, Schweineleber in einer Remoulade, Fleischbällchen in  Bratensoße mit Zwiebeln und Paprika, Kotelett natur und Frikadellen. Dazu drei Sorten Kartoffeln: Salz-, Brat- und Püree, die beiden letztgenannten goldgelb und fettig glänzend. Daneben drei längliche Salat-Schüsseln: Kraut-, Möhren- und ein gemischter zum größten Teil aus Chinakohl, sowie Tomaten und Gurken bestehend in einem Sahne-Majonäse-Dressing. Auf dem Regal daneben mindestens 15 Dessertschalen aus „geschliffenem“ Glas mit einem roten Sirup, in dem je ein fester Mokka-Creme-Quader schwimmt. Darunter mindestens 20 Gläser mit rotem Saft, der anscheinend aus dem gleichen Sirup und Wasser gemischt wurde. Daneben noch 6 Gläser Trink-Joghurt. Hinter der Theke eine Filterkaffee-Maschine, ein Wasserkocher und ein Kühlschrank mit den üblichen Softdrinks. Auf der Glastheke über den warmen Speisen noch eine „Kristall“-Glasschale, in der die letzten beiden Schoko-Croissants von heute Morgen auf einer dünnen, etwas fettigen Papier-Serviette auf Abnehmer warten.

An der Wand vor den Toiletten ein zwei Meter lange, neue Küchenplatte, auf der mindestens 10 Gäste bereits ihr schmutziges Geschirr abgestellt haben. Das Lokal scheint gut besucht. Mir schmeckt die Leber in der Gurken-Senfsoße auf dem Püree auch ausgezeichnet. Die Nachspeise ist nicht mein Fall, weil der Sirup so künstlich schmeckt. Der Saft aber erinnert mich wieder derart an früher. Bei Tante Lena gab es doch auch diesen holländischen „Ranja“ oder so ähnlich mit Himbeergeschmack.  Zum Kaffee schieb ich mir noch einen der Croissants hinterher, damit ich auch sicher ohne weitere Esspause bis zum Kap komme.