RUM HÄNGEN

Vor zwei wochen kam ich in Istanbul an. Die ersten drei tage war ich auf den inseln. Seit dem 19. 9. bin ich in der innenstadt. Das ist mehr als genug. Mir reicht das ewige hupen, das gedränge in der tram, das geschiebe auf den bürgersteigen. Ich hab genug vom grillgeruch an jeder ecke, vom geschrei der maronen-, mais-, sesamkringel-, fisch- und döner-verkäufer, genug von der lästigen anmache der ober und teppichverkäufer vor ihren geschäften. Genug von dem ganzen andenken-kram der überall feil geboten wird. Sogar der gesang der muezzin regt mich inzwischen auf, zumindest morgens kurz nach fünf.

Solange Elvira und Sara da waren, war alles gut. Bis auf das wetter. Seit Sara heute morgen um acht abgefahren ist, regnet es ununterbrochen, viel schlimmer als in der woche zuvor. Solch einen regen können die straßen und häuser hier gar nicht verkraften. Überall pfützen, ja riesige lachen auf den straßen. In den gassen zwischen den beiden basaren geht man durch fetten schlamm. In den gullis spült der abfall zusammen. Selbst in den hotels regnet es durch, zumindest in den obersten etagen und dachterrassen. Hier im Sindbad tropft es tüchtig auf den großen tee-kocher. Vor dem hostel warten neue eternitplatten darauf, dieses leck zu schließen. Nach dem moos auf den platten zu urteilen, warten sie schön länger.

Im strömenden regen hab ich nicht nur heute morgen mein rad gepackt, sondern auch auf dem Kennedy-cadesi die tickets für die fähre nach Yalova gekauft. Wir fahren nämlich am 30. weiter. Das ist der festtag Bayram, das zuckerfest am ende des Ramazan – wie die Türken sagen. Da sind viele unterwegs.

Danach bin ich ins Sindbad umgezogen, weil es billig ist und Birgit und Markus auch hier wohnen. Aber ich hab sie noch nicht getroffen. Wie auch? Nach der anmeldung bin ich nicht mehr vom zimmer gegangen.

Das zimmer ist eng, dunkel und hellhörig. Das metallbett noch neu, die matraze durchgelegen, die laken löchrig. Dusche, waschbecken und toilette auf dem flur sind nur morgens nach dem putzen sauber. Eben hat einer der Amerikaner von gegenüber dort übergeben. Ob, wie und wo ich mich heute abend wasche, steht noch nicht fest. Dabei habe ich am dampf in der dusche gesehen, dass das wasser schön heiß ist. Ich dusche doch abends so gerne.

Noch liege ich auf dem bett und stelle fotos ins internet. Das dauert. Überall im zimmer liegen und hängen die feuchten radsachen von heute morgen herum. In einer riesigen wasserlache vor dem fährhafen hat ein sprinter mich nämlich überholt und mich von oben bis unten nass gespritzt. Die socken habe ich auf den radschuhen in den flur gestellt. Die muffeln nämlich ganz schön. Draußen platscht das regenwasser aus dem abgebrochenen fallrohr auf die feuerleiter. Der muezzin ruft zum abendgebet. Der ami rennt wieder zum klo und muss mehrmals abspülen.

Seit dem frühstück habe ich nichts gegessen. Zwei tage ist ja auch noch fastenzeit. In der lenkertasche habe ich noch drei stücke Baklava, dieses süße pistazien-honig-gebäck. Mit drei bissen verdrücke ich sie rasch. Zu süß schmeckt das klebrige zeug heute. Ich glaube, ich bekomme zahnschmerzen. Zähneputzen wäre nicht schlecht. Aber nicht an dem besudelten waschbecken. Hab ja noch wasser in der flasche. Den schaum spucke ich in den trinkbecher. Den leere ich unter dem regenwasserstrahl auf der feuerleiter. Dabei tropft es aus der undichten rinne in meinen nacken.

Über die tage mit Sara sollte ich schreiben. Aber ich habe keine lust und finde keinen anfang. Meine augen flimmern schon von dem anstrengenden arbeiten auf dem kleinen bildschirm. 115 fotos von Istanbul. Wer guckt sich die überhaupt an? Außerdem wird mir kalt, weil ich in der muffigen bude das fenster trotz regens weit geöffnet habe. Ich ziehe den fleece-pulli an. Die bettdecke fasse ich nicht an. Die ist mir zu siffig. Heute nacht werde ich schön in meinen schlafsack kriechen.

Über die freilauf-reparatur schreibe ich. Das ist einfach. Sollte ich nicht mal was trinken? Oder doch noch essen gehen heut abend? Schmerzt der zahn wieder? Oder ist das nur das schlechte gewissen wegen der drei Baklava?

Keine neuen mails im posteingang. Ob Judith das baby noch nicht bekommen hat? Saskia schreibe ich noch schnell von meinem ‚ärme dier‘. Sie wird mir bestimmt was witziges zurück schreiben. Endlich schalte ich den pc ab. Essen geh ich jetzt auch nicht mehr. Mein zahn tut echt weh, oder?

Unten an der rezeption gibt’s flaschenbier für 3 lira. Im kleinen laden um die ecke fladenbrot für eine lira. Das reicht als abendessen heute. In Istanbul habe ich bislang sowieso viel zu viel geld ausgegeben. Regentage sind im urlaub immer besonders teuer. Marcel, mein rechnungsprüfer, wird mir schon vorrechnen, wie weit ich mein september-budget überschritten habe.

Und jetzt werde ich auch noch den zahnarzt bezahlen müssen. Die backe schmerzt nämlich. Ein bisschen. Nach dem bier gar nicht mehr so schlimm. Noch einmal gründlich zähne putzen. Diesmal am waschbecken. Die spuren des amerikaners sind schon weitgehend verwischt. Soll ich doch noch heiß duschen. Im schlafsack wird mir dann so wohlig warm. Im ablauf der dusche liegen noch kleine fahle bröckchen. Zu groß, um sie durch das sieb abzuspülen, vermutlich aus dem magen des armen backpackers. Jetzt hab ich echt die nase voll. Ich will hier nicht mehr rum hängen. Ich muss hier weg.