Schluss-Woche

Elsum, 08. 09. 2014

Fehmarn fällt total ins Wasser.Burg auf Fehmarn ist überfüllt von Motor-Bikern, die sich mit ihren schweren Harleys an diesem verregneten Wochenende hier treffen. Ich stürze auf dem nassen Pflaster und schlage mir meine linke Seite auf. Anlass gleich in der Jugendherberge meine blutenden Stellen zu versorgen und auf dem Bett über den Abschluss der Reise nachzudenken. Meine Baltic-Tour war eine tolle Reise, steckte voller Erlebnisse und Überraschungen. Seitdem  ich vom  Ostseeküstenradweg abgebogen bin, ist sie für mich zu Ende. Klar – ich muss noch etwa 550 km nach Hause radeln. Aber diese Deutschland-Tour möchte ich einerseits auf ganz entspannte Art abspulen.Über die sonnige Landschaft, die herbstliche Natur, die Dörfer und Städte auf dem platten Land will ich mich freuen und genießen, was sich mir bietet.  Ich will mich nicht mehr über Orte oder Städte informieren, nach historischen Gebäuden, neuen Bauwerken, Museen oder Kirchen schauen. Ich will gelassen nach Hause radeln. Nicht mehr mit dem Foto-Sucher-Blick nach lohnenden Motiven  Ausschau halten, sondern durch das norddeutsche Tiefland radwandern. Die Fehmarnsundbrücke ist das letzte Foto  dieser Reise, beschließe ich und packe danach die Kamera nicht mehr aus.

Andererseits will ich zum Abschluss noch mal „richtig“ Rad fahren. Ohne Pausen zügig durch strampeln. Nirgends lange anhalten. Nur mal pinkeln und weiter. Trinken und essen im Fahren, so wie ich es zuhause auch mache, wenn ich nicht „reise“, sondern sportlich fahre. Die vier Tagesabstände zwischen Elbe und Rhein liegen zwischen 115 und 155 km. Solche Etappen machen gerade auf dem Nach-Hause-Weg noch mal echt Laune. Abends schnell aufbauen, irgendwo Nudeln essen, zwei Bier trinken und selig einschlafen.   Schreiben werde ich nur noch diesen Abschluss-Bericht. Denn wie wertvoll für das erinnernde Festhalten und die eigene Verarbeitung der Reise-Eindrücke das Tagebuch auch ist, das Verfassen der Texte ist eine zusätzliche Belastung allein schon wegen des  Zeitaufwands, den vor allem die Auswahl und Bearbeitung der Fotos für die Internetseite erfordert.      Nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, die Heimreise in der letze Woche wäre mir lästig gewesen. Ich hätte besser den Zug genommen. Ganz im Gegenteil, als Radfahrer habe ich die Schluss-Woche genossen:  ·         Die „Holsteinische Schweiz“ mit den vielen Seen um Eutin, Malente und Plön ist selbst im Regen ein schönes und anspruchsvolles Radwander-Gebiet.
·        Bei Elmshorn besuche ich einen Fahrrad-Rahmenbauer, der  in Handarbeit mit seinen drei Mitarbeitern klassische Stahlrahmen, aber auch extrem leichte, aus neuartigen Rohren geschweißte Rennräder auf Maß baut. „Norwid“-Räder bieten nicht die technischen Raffinessen wie die Mageren Räder aus kopnehagen, sind dafür vielseitiger und als Rennrad deutlich leichter. Das Topmodel  wiegt gerade mal sieben Kilo.
·        In Blankenese – das mit seinen verwinkelten Gassen und Treppen fast wie ein Ort an der französischen Riviera am Elbufer liegt – hab ich die Fähre ins „Alte Land“ genommen. Überall Äpfel, Birnen, Pflaumen, gerade jetzt im Spätsommer dreht sich hier alles um die Obsternte.
·       Überraschend nette Städtchen wie Glücksstadt an der Elbe in Schleswig, Verden an der Aller oder Minden an der Weser, wo ich meine Hin-Route  kreuze, durchfahre ich.Überall finde ich jetzt nach Ferienende fast leere, gepflegte Zeltplätze, auf denen nur noch Dauercamper ihr kleines Wohnwagen-Idyll in der Rentnergemeinschaft genießen.
·        Ausläufer des Weserberglands, das Wiehengebirge und einen Höhenzug des Teutoburger Waldes  überquere ich. Die „Serpentinen“  nach  Bergkirchen und die anschließende Abfahrt Richtung Bad Oeynhausen werden zur hügeligste Etappe der gesamten Reise.
·         Die „Königsetappe“ –  landschaftlich gesehen 🙂 – wird die durchs Ruhrgebiet: Recklinghausen, Herten, Gelsenkirchen, Essen, Mülheim und dann aus dem Ruhrtal raus rüber nach Ratingen mit dem Ziel Düsseldorf. Radwandern neben der Autoschlange.
·         Am Freitag noch mal am Rheinufer entlang von Düsseldorf über Zons nach Köln zu Saskia.
·         Am Samstag – im Anschluss an Saskias „Smart-Triathlon“ am Fühlinger See – nach Liblar zu Sara und ihrem Pferd Darius .
·         Am Sonntag nach Elsum, wo ich gegen 15.30 Uhr ankomme – nach 67 Tagen und 5150 km.
Niemand ist im oder am Schloss. Nachdem sich die Enten wieder beruhigt haben, verdrücke ich ganz allein in der Stille Elsums ein paar Tränen des Glücks. Auf der Holzbank im sonnigen Hof lege ich erst einmal die Beine hoch und sage Dank für das Gelingen meiner Reise. Mehr als ich erwarten durfte, ist in Erfüllung gegangen. Dass nicht alles ohne Schwierigkeiten verläuft auf solch einer Reise, ist ein Glück. So eine Riesentour kann nicht reibungslos verlaufen. Gerade in den Reibungen liegt oft ein zusätzlicher Reiz.
Wie viele glückliche Zufälle und Umstände habe ich genießen können! Allein schon dieser Jahrhundert-Sommer auf dem Baltikum!  Dreieinhalb Wochen nur Sonnenschein! All die sonnigen Strandtage, die vielen langgezogenen Sandstrände und herrlich gelegenen Zeltplätze an der Küste und auf der einmaligen Kurischen Nehrung.
Welch unterschiedliche Unterkünfte ich fand: die tolle Pension in Kaliningrad, das zentral gelegene und komfortabel ausgestattete Hostel in Petersburg, das schöne Hotel in Helsinki, das bezaubernde „Wind-Paradies“ in Pavilosta . Alle mehr oder weniger zufällig gefunden, wenn auch mit Hilfe des Internets, des Garmin oder des „lonely planet“.
Die großen Städte: das lebendig-liebenswerte Danzig;  Kaliningrad – auf dem Weg in die Offenheit; das „hippe“ Riga, mit den vielen jungen Menschen; Tallin mit dem nahen Hafen und seiner kompletten Altstadt; Sankt Petersburg – die Perle der Ostsee! Welch eine Pracht, welch eine Vielschichtigkeit, welch eine Aufgabe, zu erhalten, was schön ist und zu verbessern, was im Argen liegt; Helsinki – lauter Inseln, überall  Meer und voller nordischem Design. Malmö und die moderne Architektur, Kopenhagen mit den hunderttausend Fahrrädern.
Die großen Dome, die bescheidenen Kirchlein. Die vielen Inseln – bäuerlich ursprünglich oder schon touristisch erschlossen. Ob Felder und Weiden oder Wälder und Heide – immer ländlich schön und erholsam in fast überall noch gesunder Natur.
Sehenswürdigkeiten ganz unterschiedlicher Art:  Malbork, backsteinerne Wehrhaftigkeit, das Gefängnis in Karosta, Thomas Manns Ferienhaus, das Bernsteinzimmer, das  bedrückende Janis Lipke Memorial, das  Kunsti-Museum in Viinistu, das Okkupations-Museum in Riga  und noch viel mehr. So oft wurde Geschichte lebendig, Kunst nah erlebbar und kultureller Wandel anschaulich.
Und nicht zuletzt die netten Menschen: freundliche, offene Reisende und gastliche Einheimische. Mit vielen habe ich mich ausgetauscht, erzählt, gelacht. Manche haben mich nachdenklich gemacht. Andere konnten amüsante Reise-Erlebnisse erzählen oder beeindruckten mit Geschichten und Erfahrungen aus ihrem Leben. Meine Reise an die Baltisiche See – ein unvergessliches Erlebnis.