SCHÖN SCHWER

Dass ich es gerne schön schwer habe beim radfahren. habe ich geschrieben. Prompt wird mir mein wunsch erfüllt – mehr als zu meiner zufriedenheit. Ipsala – Istanbul = 250 km auf der vierspurigen straße nr. 110. Immer gerade aus, kaum eine biegung. Genau vier ortschaften auf den ersten 100 km. Ein endloses wellenbad: lang gezogene wogen zwischen 400 und 1200 meter mit 4 oder 5 % runter und wieder rauf. Kaum mal 200 meter sind eben. Sind es mehr prozent, werden sie angekündigt und zwar so herum: % 7. Der unangenehmste anstieg wird mit 2,8 km änge und 6 % steigung angegeben. Den muss ich fast komplett im stehen nehmen. Oben sehe ich schon das nächste loch und den nächsten hügel. Den wievielten eigentlich? Langsam wird’s zu schön.

Solche wellen fahre ich mit dem rennrad gern. Den schwung der abfahrt mitnehmen bis in den anstieg. Dann auf möglichst großem blatt durchdrücken. Schon bin ich wieder oben.

Doch hier klappt das nicht: gewicht und gegenwind. Genau von vorne. Zwei tage so kräftig, dass die flaggen der vielen tankstellen im wind stramm stehen. Da die vierspurige straße in offenem gelände verläuft, packt mich der wind immer. Die lang gezogenen wellen sind zu flach, um mir im anstieg windschatten zu bieten. Selbst auf den längeren abfahrten erreiche ich ohne zu treten nicht mehr als 25 km/h. Nach stärkeren anstiegen komme ich oben nur mit 10 km/h an.

Bilanz in Zahlen: 1.Türkeitag: 110 km in 7 stunden. 2. Türkeitag: 100 km in 7 stunden. (Niedrigster schnitt der ganzen reise: 14,5 km/h). Entfernung bis Istanbul: noch 50 km.

Doch was steht dem alles gegenüber:

In Ipsala besorgt der kellner eines cafés mir nicht nur einen billigen schlafplatz in einem allerdings herunter gekommenen hotel, er geht auch mit mir ins restaurant und bestellt für mich, was er gerne ist: güvec ,börek und köfte – von allem muss ich probieren. Es ist wie immer beim Türken – lecker. Zum abschied fotografiere ich ihn mit seiner tochter und spendiere dem mädchen eine cola. Mehr erlaubt er nicht.

Ein freundlicher security-man im maxi-einkauf-center, deutet mir beim reinkommen an, er werde auf mein fahrrad achten. Als ich wieder zum ausgang komme, ist das rad umringt von neugierigen grundschülern in uniform, die aber von dem aufpasser brav auf abstand gehalten werden. Zum glück habe ich pflaumen gekauft, die ich den jungs anbieten kann. Ihre neugier ist dann auch bald gestillt. Obwohl der wärter gerade stress hat mit einem uneinsichtigen autofahrer, winkt er mir noch zum abschied und ruft mir etwas hinterher. Ich bin sicher, es ist etwas wohlmeinendes.

Alle männer einer obstverkaufenden großfamilie wollen auf einmal fotografiert werden, als ich bei ihr anhalte, um eigentlich nur ihren unter bäumen auf einem ausladenden sofa schlafenden boss zu knipsen. Einer wischt sich noch rasch durch die haare, ein anderer rückt seinen hut zurecht. Nur die frau des hauses will nicht aufs foto. Oder darf sie nicht? Als ich dern herren die fotos im display zeige, bieten sie mir melonen und tomaten. Sie können nicht akzeptieren, dass mir die früchte auf dem rad zu schwer sind. Um des lieben friedens willen esse ich eine honigmelone bei ihnen am obststand und lobe ihren erfrischenden geschmack. Dabei schmecken in der sonne gewärmte melonen überhaupt nicht.

An einer tankstelle, an der ich wasser und joghurt kaufe, laufen gleich drei zugegebener maßen beschäftigungslose tankwarte, um mich herum. Der kassenwart spendiert mir einen kaffee. Is promotion, sagt er. Der lehrjunge muss ihn aufgießen und bringen. Der lange schmale, der zunächst an der waschanlage ölflecken weg spritzt, nimmt mir den müll ab, als er sieht, dass ich den abfalleimer suche. Der ältere, der etwas deutsch spricht, bringt mir zu meinen wasser einen becher. Er fragt die üblichen fragen. In der achtung der anderen steigt er gewaltig wegen seiner sprachkenntnisse. Mein ansehen steigt bei den dreien, als sie hören, dass ich nach Istanbul noch weiter nach Kappadokien möchte. Göreme ist anscheinend ein allgemein anerkannt lohnenswertes reiseziel. Der auszubildende traut sich aber zum schluss mir freundlich frech zu sagen: You are crazy. Ich stimme ihm lächelnd zu.

Tekirdag ist eine hafenstadt mit 135.000 einwohnern. Da finde ich keine charmanten winkel und gassen, keine schöne bucht zum schwimmen oder zelten. Silivri dagegen mit nur 6.500 einwohnern – die zahlen werden übrigens auf den ortseingangsschildern geliefert – hat Riviera-flair: schnuckeliger hafen, autofreie promenade mit palmen und pinien. Am morgen laden weitgehend leere caféterrassen zum träumen oder lesen ein. Abends füllen sie sich rasch mit fröhlichen jungen leuten und männern, die hier spielen, rauchen oder ihren tee genießen und erzählen.

Die moschee, eine querstraße weg vom boulevard, wird abends zumindest jetzt im ramadan von hunderten von männern aufgesucht. Die meisten ziehen zunächst schuhe und strümpfe aus und führen die vorgeschriebenen waschungen durch. Erst dann treten sie in das überfüllte gebetshaus. Viele finden nur platz auf ihren gebetsteppichen im garten der moschee. Hinter hohen weißlich grauen vorhängen auf der linken gartenseite beten die frauen. Wenige kinder bewegen sich eher spielend auf dem gelände. Von mir nicht-muslimen nimmt niemand notiz.

Übertönt wird die angestrahlte naturstein-moschee und der beleuchtete garten vom scheppernden gesang und der eindringlich klingenden ansprache des muezzin. Es herrscht zumindest vor der moschee ein ständiges kommen und gehen. Obwohl alle sich an regeln halten und auch rituale gemeinsam vollziehen, scheint mir jeder individuell und lebendig mit seinem gebet beschäftigt. Es erinnert mich an das frühere ‚ewige gebet‘ in katholischen kirchen, bei dem auch einzelne betende kamen und gingen (wegen des mit jedem kirchenbesuch zu erzielenden ablasses). Die knieend-gebückte gebetshaltung der moslems wirkt auf mich noch inniger, auch demütiger, tiefer halt als das knien in den holzbänken der katholiken. Lange schaue ich dem treiben in und an der moschee zu. Fotografieren verbiete ich mir. Selbst kann ich hier nicht beten. Ich bin zu sehr beobachter und zu wenig gläubiger. Leider!

Vom ramadan spüre ich tagsüber nichts. Wenn ich allerdings abends ein bier trinken möchte, zucken die ober bedauernd mit den achseln. An einem kiosk rollt ein Bulgare mir eine büchse gekühltes Efes in akurat zurecht geschnittenes zeitungs-packpapier ein. Muss ja nicht jeder sehen – bedeutet seine um verständnis bittende mine. Und bitte nicht auf der straße trinken, verstehe ich aus seinem gestenreichen weiteren text. „Merci“, sagt er schließlich. Als ich darüber stutze, erzählt er, in Bulgarien sei ‚merci‘ das übliche ‚danke‘ und auch in der Türkei sei es gebräuchlich.

Ausgiebig frühstücken ist mir wichtig, in süd-europäischen ländern aber nicht immer leicht zu bekommen. In der Türkei ist kahvalti üblich, meins umfangreich und vielfältig. Die bäcker bieten brot, sesamkringel und viele verschiedene, meist süße brötchen an, die bei uns wohl eher als ‚teilchen‘ gehandelt würden. Oft kann ich mich nicht entscheiden, welche ich nehmen soll. Dazu gibt’s cay (tee) oder kahve – türkischen natürlich. Endlich wieder starken kaffee nach all dem nescafé aus dem alubecher.

Über das türkische mittag- oder abendessen brauche ich nichts zu schreiben. Das kennt man ja bei uns. Hier ist es vielleicht noch vielfältiger. Am meer gibt’s natürlich viel fisch, meist gegrillt. Und die desserts! In güllac könnte ich mich reinsetzen. Aber ich muss auf mein gewicht achten. Schön schwer will ich nicht werden auf dieser tour.