STILL STAND

Sharjah, 11.02.2009

Menschen – vor allem welche weit über 50 – verändern sich nicht mehr so leicht. Ich weiß – ich hätt’s nötig. (Narziss!) Ich bin auch deswegen ein stück weit unterwegs. Aber immer wieder stelle ich mit bedauern fest, wie automatisiertes handeln, nicht hinterfragtes denken und kritiklos übernommene empfinden mein tun und lassen bestimmen.

Mehrere nächte hintereinander schlafe ich tief und fest – trotz viererzimmer. Endlich ist der weitere weg geklärt. Für die nächsten wochen bis Teheran gibt’s keine neuen zweifel, keine alternativen mehr. Startklar bin ich. Positiv geladen.

Gestern dann wieder ein rückschlag. Zum zweitenmal wird die fährüberfahrt wegen sturm verschoben. Jetzt auf samstag morgen. Noch zwei tage länger warten! So viel zeit haben wir schon verloren für den weg nach China.

„Nichts geschieht umsonst. Nichts ist vergeblich.“ sagt Elvira. Max meint: „Wir sollen da einfach noch  nicht sein!“ Alles hat seinen sinn.  Ich versuche es so zu sehen. Zwei tage mehr zeit für mich. Zwei tage mehr pause. Kräfte sammeln für die schweren berge im Iran. Nerven sammeln für den weiteren kampf mit den einreisebehörden. Den schon aufgelegten gang rausnehmen. Nochmal in mich hinein horchen, ob wirklich alles rund läuft.

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Den stillstand wirken lassen, die ruhe genießen, möchte ich. Die freizeit nicht abarbeiten, sondern absitzen, evt. abfeiern. (Letzteres wäre hier in Sharjah ungewöhnlich. Gefeiert wird hier höchstens was religiöses. In der familie, nicht in der öffentlichkeit. Nie sieht man frauen und männer gemeinsam essen, trinken sowieso nicht, nie gemeinsam am strand oder in der stadt. Sie shoppen weder zusammen, noch scherzen und lachen sie miteinander.)

Meine unruhe ist aber einfach zu groß. Dieses warten macht mich kribbelig. Meine haut juckt. Meine füße wippen ständig. Ich versuche die unruhe fest zu legen. Am menschenleeren strand, an der aufgewühlten see, am grauen horizont. Meine augen finden keinen ruhepunkt. In meinem heft versuche ich was zu zeichen. Die palme im wind gelingt mir nicht. Dann versuche ich was zu schreiben. Meine schrift, die in den letzten tagen so klar und gut lesbar war, ist heute ein fast unleserliches gekritzel. Ich geb’s auf.

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Einfach nichts tun, wie schwer das ist. Pause machen. Nichts schreiben, nichts malen, nichts denken. Atempause. Inne halten. Auspusten. Ich versuche es. Rhythmisch. Mir fehlen techniken. Mir fehlt die ruhe.

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Ruhige, geerdete, gesetzte menschen bewundere ich. Mit denen, die nichts aus der ruhe bringt, die gelassen sind, cool bleiben, gehe ich gerne um. Nie werde ich so sein können. Oft wünsche ich es mir. Aber dann fühle ich, ich kann mich nicht umkrempeln. Zu mir gehören reden, mich austauschen, mich bewegen, mich an- und aufregen, mich ärgern, mich freuen.

Stille, stillstand, still sitzen, still sein – das sind einfach nicht meine dinge. Jetzt kann ich nicht länger sitzen bleiben. Ich fahre wieder rad. An der etwas ruhigeren corniche. Der wind fegt durch die stadt. Die skyline auf der anderen seite der bucht verschwindet fast im dunst. Die luft ist gelblich beige. Viele, die draußen arbeiten, tragen tücher vor dem mund.

Der verkehr ist heute noch schlimmer. Ein grauer 7er BMW rast zentimeter vor mir aus dem kreisverkehr. Meine bremsen greifen. Aber der sand auf der fahrbahn lässt mein hinterrad wegrutschen. Nix ist passiert. Aber was ich dem im dunst verschwindenen fahrer alles hinterher brülle!

Ein gutes essen könnte helfen. Max hat auch hunger. Zur zeit schmeckt uns indisches am besten. Zur frau Gupta ist es uns zu weit. Sieht auch so nach abzocke aus, wenn wir da wieder umsonst essen gehen. Für ein mittagessen zahlen wir hier ohnehin nur drei euro.

Ich lehne mein rad ans bodentiefe restaurantfenster eines größeren indischen lokals. Gleich kommt ein ober raus und bittet mich, das rad in die nebenstraße zu stellen. Ich will mein rad im auge haben. Er meint: No problem, bike here safe! Ich will nicht. Er schiebt es rüber. Würde Max nicht ganz ruhig sein rad zu meinem stellen und miteinander verschließen, wäre ich wieder gefahren.

Weil sie im erdgeschoss gerade wischen, müssen wir auch noch die treppe hoch. Hier sind wir vollends von unseren rädern getrennt. Ich koche. Esse nur eine kalte kleinigkeit und trinke einen tee.  Zum glück kann ich mit Max lange und gut diskutieren. Leider heute nicht über das, was mich bewegt. Wir reden  über die rolle der religionen und kirchen in den kriegen und politischen auseinandersetzungen dieser welt. Dabei verliert sich mein missmut. Die unruhe bleibt. Max geht nachher noch ins internet-café. Dazu habe ich keinen nerv.

Ich schmeiss mich wieder aufs rad. An den zwei tagen, die ich hier noch länger rum hängen muss, will ich wenigstens kerniges brot zum frühstück. Das gibt’s nur im Carrefour. Am haupteingang wieder ein problem mit der security wegen meines rads. Sie tragen es abgeschlossen einfach weg, während ich einkaufe. Als ich raus komme, ist es weg. Wieder rege ich mich furchtbar auf, obwohl ich ahne, dass der aufseher es weg gestellt hat. Als er mich zum rad führt, erklärt er mir, es sei verboten hier räder abzustellen. Ich frage, woher ich das wissen soll. Verbotschilder gibt’s nämlich nicht.

Der bleiche fast volle mond ist zu schwach, um sich lange blicken zu lassen, als ich nach hause fahre. Grauschwarze, bedrohlich wirkende wolken verbergen ihn. Der wind hat noch kräftig zugelegt. Ich nehm den weg durch die innenstadt. Aggressiv dränge ich mich zwischen die autos an den ampeln und in den kreisverkehren. Dabei pfeife ich die an, die mir zu nahe kommen. Bedanke mich aber auch bei denen, die mir vorfahrt gewähren. Die engen flyovers nehme ich im großen gang. Da fühle ich den luftzug der vorbeifahrenden lieferwagen und schulbusse hautnah. Verschwitzt komme ich im hostel an. Einen halben liter wasser kippe ich runter. Dann dusche ich.  Mir geht’s besser. Diese adrenalin-ausschüttung hatte ich einfach nötig.