STIMMUNG WANDEL

Kladovo, 25.04.09

Bulgarien hat es schwer bei mir. Dem land und den menschen will ich genau so offen und unvoreingenommen begegnen wie allen anderen. Doch ich bin mit der Türkei noch nicht fertig, als ich am montag morgen über die grenze fahre. So viel nachdenkliches habe die türkischen radler gestern angesprochen. Das geht mir noch durch den kopf. So viel bin ich gefragt worden, was sich nicht mit einem satz beantworten lässt. Das beschäftigt mich. So viel zuwendung habe ich erfahren. Die kann ich oft nicht annehmen. Hier hat sie mir gut getan. So viel gemeinschaft hab ich erlebt. Das kann ich längst nicht immer aushalten. Hier hat die sprachbarriere eine mir angenehme distanz erhalten. Mit anderen, mir unbekannten zusammen habe ich ein schönes wochenende erlebt. Zeit muss ich mir nur nehmen. Aufmerksamkeit muss ich anderen schenken. Nähe muss ich zulassen. Teilen und annehmen muss ich mich trauen. Ob’s zuhause auch so einfach sein wird?

Zu dem dreiländereck Türkei, Bulgarien, Griechenland finde ich keinen hinweis, keine informationen. Es gibt nur zwei getrennte grenzstationen: Kapuli nach Bulgaristan und Kastanies nach Yanunistan, wie die Türken ihre nachbarländer nennen. Aber der punkt an dem die drei staaten zusammen treffen ist nicht besonders ausgewiesen.

Am zoll treffe ich Andy. Reiseradler aus Manchester. Er erzählt mir seine ganze story: Seinen job als fahrer hat er verloren. Arbeitslos wird er immer dicker. Um sich fit zu halten, kauft er ein rad. Es wird eine große liebe. Seine andere ist die freundin, die er in Kairo besuchen fährt. Im november werden sie zusammen in Kapstadt urlaub machen. Sie hat schon den flieger dorthin gebucht. Er fährt mit dem rad hin.

Andy ist einer jener unbeschwerten, leichtmütigen reiseradler, die nicht auf jede eventualität vorbereitet sein wollen. Er radelt mit einer landkarte vom Balkan einschließlich Griechenland und dem europäischen teil der Türkei, die grad mal 60 x 60 cm groß ist. Einen maßstab konnte ich nicht finden. Den braucht Andy auch nicht. Er will gar nicht planen, wie weit er noch radeln wird. Den namen der nächsten großen stadt merkt er sich. Und die himmelsrichtung, die er mit dem kompass hin und wieder kontrolliert. So kommt er gut voran. Von dieser leichtigkeit könnte ich noch lernen.

Aber einen stock zur abwehr aggressiver hunde hat er ans oberrohr geklemmt. Er erzählt von einem riesenköter, der immer näher gekommen sei und nicht aufgegeben hätte. Deshalb der stock. Wenn so ein lockerer typ einen knüppel braucht, lege ich mir besser auch einen zu. Zwei tage steckt er zwischen meinen beiden ortlieb säcken. Dann ist er mir zu lästig. Ich hab ja noch mein pfefferspray. Ob’s nach neun monaten in regen und sonne überhaupt noch funktioniert, habe ich nie getestet. Außerdem hab ich’s fast unerreichbar tief unten ans sattelrohr geklettet. Da hat jeder hund mich längst gebissen, ehe ich die spraydose in der hand habe.

Die orthodoxen christen feiern ostern eine woche nach den katholiken. Also ist heute ostermontag. Im ersten dorf gehen wenige ältere glaubige zur kirche. Die letzte kirche habe ich in Kairo gesehen, als wir für Max‘ familie den besuch eines weihnachtsgottesdienstes möglich machen wollten. Die Franziskannerinnen dort haben uns nicht rein gelassen. Hier ist es kein problem in das offene gotteshaus zu kommen. Vor einem der vielen heiligenbilder, an denen kerzen brennen, kann ich in aller stille beten. Am abend läuten in Haskovo kirchenglocken. Nach dem ich monate lang fünf mal am tag den muezzin hörte, bin ich zunächst überrascht. Dann kommen mir die tränen. Dass ein glockenläuten mich so bewegen kann!

Die straßenbeschaffen-heit in Bulgarien lässt zu wünschen übrig. Auf den 450 km habe ich außer innerörtlicher straßen nur fünf straßen benutzt: die 8 von der türkischen grenze bis Sofia, die 81 von Sofia nach Lom, die 11 von Lom nach Vidin und die 12 von Vidin bis zur serbischen grenze nach Begovo. Überall sind bautrupps beschäftigt, die straßen auszubessern. Dadurch sind immer wieder teilstücke aufgerissen, ausgefräßt, mit schotter aufgefüllt oder gesperrt. Auf nicht ausgbesserten teilstücken folgt ein oft metergroßes, tiefes loch dem anderen. Durch frost aufgeplatze und hochgewölbte asphaltknubbel muss ich ständig umkurven. Auf bergigen strecken liegt sand und kies, mit dem regen von den hängen herunter gespült.

Viele fahrer neuer hochwertiger autos fahren viel zu schnell.Tempolimit ist anscheinend unbekannt, obwohl immer wieder vor radarkontrollen gewarnt wird. Viele dieser teuren autos sind in Deutschland zugelassen. Dadurch sparen die eigentümer die hohe bulgarische luxussteuer.

Die landschaft auf den ersten 100 km durch Trakiya ist leicht hügelig, frühlingsgrün und rapsgelb. Wie an den letzten tagen in der Türkei. Störche nisten in vielen orten auf kirchtürmen oder laternenpfählen. Kilometerlang radle ich von einem beschaulichen dorf ins nächste über herrliche alleen.

Ganz anders die größeren ortschaften und städte. Unansehnlich, farblos grau-braun und trist. Schutt und müll überall. In allen orten auch noch denkmäler, statuen und gebäude aus der sozialistischen zeit. Einen gewissen charme kann ich den monumenten aus den 50er und 60er-jahren nicht absprechen. Optisch fast wieder reizvoll auch die vielen überwucherten industrieruinen.

Einfach häßlich dagegen die ungepflegten, verwitterten wohnblocks in plattenbauweise. In allen großstädten gibt es solche wohnsiedlungen, die grundlegende bedürfnisse der menschen missachten. Aber hier in Bulgarien scheinen sie mir trostloser als anderswo. Wie müssen sich menschen fühlen, die täglich durch diesen schmutz ein und aus gehen? Was wird aus kindern, die zwischen in solch traurigem umfeld spielen müssen?

Bilde ich mir das nur ein oder färben diese tristen orte ab auf das verhalten und die stimmung der menschen? Genau so freundlich lächelnd und grüßend wie in den anderen länden radle ich auch durch Bulgarien. Aber kaum jemand grüßt zurück. Scheuen sie sich? Wirke ich zu komisch in meinem bunten raddress? Bin ich zu aufdringlich, wenn ich sie nach dem weg, einer unterkunft oder einem internet-café frage? Zwei pärchen gehen wortlos weiter, ohne mich anzuschauen, als ich sie anspreche. Andere geben mir keine antwort. zucken nur mit den schultern. Viele scheinen missmutig und übel gelaunt. Ihre gesichter fahl und grau, wie die häuser.

Wenn ich eine auskunft erhalte, dann von jüngeren frauen. Sie trauen sich englisch zu sprechen. Mütter, die ihre kinder an der schule abholen, grüßen mich wenigstens mit „Hello!“ Zwei verkäuferinnen vor einem schuhladen in Plovdiv erklären mir umständlich aber freundlich den weg nach Pasardzik. Dort zeigt die angestellte eines spielsalons mir ein hotel und ein restaurant. Sie übersetzt mir auch das tagesmenu auf der kreide-tafel.

Wieder in der EU. Heimatgefühl kommt nicht auf trotz EU-flaggen, EU-autokennzeichen, EU-firmen und EU-waren. Aber gezahlt wird noch mit Lev, obwohl ich überall mit € zahlen könnte. Auf kaffee und kuchen hätte ich lust. In der Türkei nähme ich jetzt cay und baklava. Hier finde ich in einer eisdiele einen griespudding mit rosensirup zum nescafé. Ganze 1,70 € kostet das. Essen, getränke, lebensmittel insgesamt sind in Bulgarien noch günstiger als in der Türkei. Ein liter bier z.b. kostet nur 80 cent. Da könnte ich mich am geburtstag ja mal richtig voll laufen lassen.

In Plovdiv finde ich einen kleinen beschaulichen platz mit alten plantanen und einigen restaurants. Darunter einen Italiener. In den ferienorten der Türkei gibt’s natürlich italienische restaurants. Aber meist bieten sie nur pizza und pasta mit den üblichen salaten aus der kühltheke an. Hier bekomme ich auf einem weich gepolsterten sofa sitzend einen frischen rucola-salat mit tomatenscheiben und parmesanstreifen nur mit frisch gepresstem zitronensaft angemacht. Sofort wird meine stimmung besser. Muss ja auch langsam. Morgen hab ich geburtstag.

Zunächst kommt aber noch keine festtagslaune auf. Am nachmittag beginnt es nämlich zu regnen. Diese straßen im regen. Da fahre ich von einer pfütze in die nächste. Klatschnass, verdreckt und voll gespritzt bis unter den helm komme ich in Pasardzik an. Im Hotel Central zeigt mir eine freundliche dame ein großes zimmer mit bad, das ich für 30 Lev mieten kann. Aber mein rad soll ich vor dem hotel auf der straße lassen. Das ist mir in den acht monaten auch noch nicht wieder fahren. Zum glück gibt’s noch andere hotels in Pasardzik.

Mittwoch, mein geburtstag. Glückwünsche per telefon und sms. Aber noch keine festtagsstimmung. Grau der himmel. Fad das weißbrot und der weiße käse zum frühstück. Das ei ist schon kalt. Der kaffee lau warm. Insgesamt viel zu wenig um 115 km nach Sofia zu schaffen. In einer bäckerei stocke ich auf. Zwei blätterteig-taschen mit käse und kräutern und zwei schoko-croissants esse ich sofort. Hefe gebäck packe ich in die lenkertasche.

An einem kleinen altmodischen bahnübergang mit holzschranken, die noch von hand gekurbelt werden, halte ich. Der nächste zug kommt erst in eineinviertel stunde erzählt mir der bahnwärter. Ich hätte ihn so gern in aktion geknipst. 

 

Landwirtschaft wird in Bulgarien ganz unterschiedlich betrieben. Da ist einmal der kleine bauer mit pferd und wagen, der mit seiner frau per hand das feld bestellt. Andererseits werden in modernen betrieben großgeräte und maschinen eingesetzt.

Nieselregen ab halbzwölf. Die straße wird richtung Sofia immer steiler und voller. Bei Vakarell muss ich lange klettern. Je höher ich komme, um so kälter wird der regen. Auf den nordhängen der nahen berge liegt schnee. Wind- und goretex-jacke übereinander halten mich auf der abfahrt nach Sofia warm.

Wie vor allen großstädten liegen auch an den einfallsstraßen Sofias gewerbe- und industriegebiete. Aber hier scheint kaum ein betrieb zu arbeiten. Verlassen und abbruchreif die meisten. Dazwischen eine neue produktionshalle von Knauf oder eine moderne tankstelle.

Gegensätze bestimmen ohnehin das straßenbild in der city. Alte herunter gekommene stuckverzierte häuser aus den 20er-jahren neben modernen glasfassaden. Pferdewagen neben S-klasse-Daimler. Durchgestylte handtaschen-damen neben renterinnen in löchrigen wollsocken mit plastiktüte. Goldene kuppeln neben eingestürzten decken.

In der nähe des bahnhofs spreche ich einen jungen mann mit rucksack aus Varna an, der noch auf seinen zug nach hause warten muss. Er führt mich zu der pension, in der er immer schläft, wenn er in Sofia ist. Zimmer und bad haben westeuropäischen standard und kosten doch nur 35 lev. Für Sofia wenig, für Bulgarien viel. Mir ist es recht. Wire-less-internet habe ich auch, so dass ich meine geburtstagsmails lesen kann. Am pc fallen mir die augen zu. Geburtstag ohne abendessen und ohne bier.

Sofias wichtigste bauwerke schaue ich mir am donnerstag an. Dabei folge ich den empfehlungen der dame des tourismus-büros nur in ansätzen. Die hohe statue der weisheit. Die wuchtige Alxander-Nevsky-kathedrale, die russische St.-Nikolai-kirche. Die bescheidene Hagia Sofia-kirche gefällt mir am besten, weil hier wieder leben im gotteshaus ist.

Es ist halb zwei als ich aus der stadt über die berge richtung Donau aufbreche. Nach wenigen kilometern bin ich in einer waldreichen mittelgebirgslandschaft. Hier ist kaum frühlingsgrün. Die buchenwälder, die weiden wirken noch winterlich grau. Um mich herum ist es herrlich ruhig. Nur vögel singen, frösche quaken und Bäche gluckern. Nach dem pass von über 1400 m, friere ich auf der 15 km langen abfahrt im schatten der nordhänge. Wegen der schlechten straße und dem sand in den kurven kann ich nur vorsichtig runter rollen.

In Berkovica gibt’s ein kleines hotel. Geschmackvoll restauriert, neu eingerichtet und beheizt. Der herzliche empfang und der freundliche service, den die junge familie bietet, wärmt zudem. Mein rad darf ich neben waschmaschine und trockner abstellen. Als ich frage, ob ich meine wäsche waschen und trocknen dürfe, übernimmt die junge frau das sofort.

Überhaupt scheinen die menschen in diesen stillen bergdörfern fröhlicher, offener und freundlicher. Vor den häusern sitzende bauern winken und rufen mir zu. Von den eingemachten früchten, dem käse und dem met, den sie anbieten, darf ich probieren. Abends in der gut besetzten dorkneipe komme ich über das essen leicht ins gespräch mit vier jungen leuten am nachbartisch. Im hintergrund laufen alte songs von Phill Collins und Tina Turner. Das tut der stimmung unter den jungen leuten keinen abbruch. Ihre unzufriedenheit über fehlende arbeit und schlechte verdienstmöglichkeiten äußern sie schon. Auch ihre enttäuschung über die jetzige regierung. Aber sie wirken nicht so hoffnungslos wie die menschen in den städten. Bis Sofia sind’s nur 100 km. Dort wollen sie nicht leben, sagen sie. Da fahren sie nur hin zum shoppen. Wenn sie denn geld haben.