Tour de Creuse

Freitag, 07. 07.: Aigurande – Limoges

7. etappe: Aigurande – Limoges 120 km 19,8 km/h insg. 940 km

In dem weichen hotelbett habe ich herrlich geschlafen. Beim waschen sehe ich im spiegel, wie gerötet und rauh meine haut um nase und oberlippe unter meinem schnurrbart ist. Ich habe mich nicht genügend eingecremt. Der tagelange wind, der häufige regen und die sonne gestern haben zusammen mit dem schweiß meine haut stark beansprucht. Ich muss heute daran denken mich mehrmals einzucremen.

Gegen 7.00 uhr bekomme ich mein frühstück – wie immer nur baguette, butter, konfitüre und cafe au lait. Die läden im ort sind noch zu, also muss ich später proviant kaufen. Kurz vor 8.00 fahre ich los. So früh am morgen radele ich besonders gern.

Aigurande ist ‚grenzstadt‘ zwischen den departements Cher und Creuse. Die landschaft an der Creuse, an deren gleichnamigen armen viel geangelt wird, verändert sich nur allmählich gegenüber dem Berry. Wieder mehr wiesen und wälder, vor allem mehr hecken. Auf der straße richtung Dun le Paleste treffe ich kaum ein auto. Auch die drei ordentlichen steigungen, die ich zu bewältigen habe, beeinträchtigen nicht meinen radspaß, obwohl der wind wieder leicht zu meinem nachteil weht. Schon gestern habe ich gespürt, mit welcher leichtigkeit und entspanntheit ich auch ansteigende strecken radle, wenn nur das wetter ein wenig mit spielt. Dabei meinte ich bisher, ich sei ein typischer ’schlecht-wetter-radler‘. Aber anscheinend gilt das nur im verein oder zumindest nicht auf dieser wallfahrt, auf der ich genießen und weniger kämpfen möchte. Nicht dass ich bei regen und wind missmutig werde oder ans aufgeben dächte. Nein, ich radle bei miesem wetter angespannt, fahre unter druck, während ich jetzt locker bleibe und dennoch tempo mache.

Dun le Paleste ist ein alter pilgerort mit einer abtei, die schon seit jahrhunderten pilger aufnimmt. In einem kleinen dörfchen an der D 951 entdecke ich eine kleine dorfkirche, die zum wohnhaus umfunktioniert wurde. Was soll’s?  In Valkenburg gibt’s sogar eine pinte in einer ehemaligen kirche.

Bis La Souterraine, seit mehr als 800 jahren pilgerstation auf dem jakobsweg, muss ich noch zweimal tüchtig klettern. Aber auch in dieses städtchen mit seinem gut erhaltenen mittelalterlichen kern kommt man heutzutage nur über einen ‚rond point‘, aber einen ganz besonderen mit lauter fernsehapparaten darauf. Keine ahnung was die tv-geräte zu bedeuten haben. Der kreisverkehr heißt  ‚place de 18 mars 1962‘  (Ende des Algerien-Krieges)

In der stadt herrscht besonders reges treiben, denn in dieser woche läuft die ‚fete des arts‘: gemüse-. handwerker- und flohmarkt sowie kirmes zugleich. Im tourismusbüro listet man mir die sehenswürdigkeiten der stadt auf, die eine verbindung zum jakobsweg haben: die kathedrale mit dem weißen stein, den in dieser region alle kirchen in ihrem turm eingemauert haben als orientierungshilfe für nicht ortskundige mittelalterliche pilger, die ‚laterne des morts‘, eine friedhofssäule aus dem 12. jahrhundert und das stadttor ‚Port de St. Jean‘, durch das die pilger die stadt richtung Limoges verließen.

Nachdem ich das alles angeschaut und auch noch in der kathedrale ein jakobsfenster gefunden habe, esse ich erstmal was und kaufe obst und getränke  für den nachmittag. Als ich dann noch einen gut sortierten radladen entdecke, leihe ich mir dort eine luft-pumpe, weil ich meine, die reifen hätten luft verloren. Der verlust ist aber unwesentlich.

Der geschäftsinhaber erkennt den ‚Bioracer‘-aufdruck auf meinem trikot. Er führt auch Bioracer-produkte und kennt die Janssen-brüder aus Elsoo, die inhaber dieser firma, persönlich. Als ich ihm erzähle, dass ich vor sieben tagen in niederländisch Limburg losgefahren bin, meint er, ich hätte mich als pilger ganz schön beeilt.

Um 11.30 uhr fahre ich erst weiter und habe bisher erst gerade 50 km zurückgelegt. Okay, ich habe heute nur 110 km zu fahren, aber ich will ja rechtzeitig in Limoges sein, wegen der tourankunft, die gegen 17.00 uhr sein wird. Eine stunde vorher möchte ich an der strecke stehen.

Es hat angefangen zu regnen. Erst als niesel, dann klatscht mir mit zunehmendem wind auch immer mehr regen ins gesicht. Zum erstenmal trage ich heute radhandschuhe, deren gepolsterte innenflächen doch eine spürbare dämpfung für die hände bringen. Dadurch ist das taubheitsgefühl in der rechten hand schon geringer geworden.

In St. Etienne de Furlac entdecke ich den zweiten kirchturm mit einem weißen stein. In Paulhac finde ich eine Templer ‚commanderie‘  aus dem 12. jahrhundet, die gerade restauriert wird, Also radle ich immer noch auf dem alten ‚Chemin de St. Jacques‘, obwohl ich in dieser gegend keine hinweisschilder darauf finde

Ich spüre jetzt, dass ich ins Limousin komme. Die anstiege werden nämlich steiler. In Lauriere sehe ich im sonnenschein dunkel die kette der ‚Monts d‘ Ambazac‘ vor mir liegen, die Schwarzwald-niveau haben. Diesem entsprechend nimmt auch die länge der anstiege zu. Der ‚Col de la Roche‘ ist gleich sechs kilometer lang und bringt mich auf 456 meter. Auf den folgenden 20 km gibt es noch weitere drei so lange anstiege, dann bin ich in Ambazac und habe die ‚grands monts‘, wie sie hier genannt werden, hinter mir. In Ambazac lasse ich mir schnell einen stempel im office de tourisme geben, weil ich das in La Souterraine vergessen habe, halte mich aber weiter nicht auf.

Auf der südseite der berge von Ambazac regnet es zum glück nicht mehr. Der wind legt sich auch und gelegentlich bricht sogar die sonne durch. Da fahre ich gleich ein anderes tempo. Aber auch hinter Ambazac muss ich noch bis Rihac-Rancon klettern, allerdings nicht mehr so steil. Obwohl ich zuhause geplant hatte, in diesem städtchen, die D 914 zu verlassen und über nebenstraßen nach Limoges zu fahren, bleibe ich jetzt doch auf der großen straße und gerate prompt auf einen autobahnähnlichen zubringer, der für radler gesperrt ist, dann in ein industriegebiet, aus dem ich nur noch mit freundlicher unterstützung eines lkw-fahrers raus komme. Endlich auf einer zufahrtstraße mit radstreifen nach Limoges entdecke ich schon früh die hinweisschilder ‚Arrivée Tour de France‘. Um 16. 00 uhr komme ich am etappenziel an. Aber alles ist schon voller zuschauer. Hinter einer hecke 50 meter vor dem ziel finde ich noch einen recht guten platz. Allerdings sehe ich auch nur dann die letzten 300 m der zielgeraden, wenn ich mich auf mein rad stelle.

Angolutto ist gut zu erkennen, weil er alleine ankommt. Im sprint des pelotons kann ich zuerst Zabel erkennen und dann sehe ich, wie Wüst sich auf meiner höhe an ihm vorbei schiebt.

Alles ging wie immer viel zu schnell. Ich warte die siegerehrung nicht ab, sondern radle durch die abgesperte innenstadt zum verkehrsbüro. Dort reservieren mir sehr nette junge leute per telefon ein zimmer in einem gewerkschaftsheim für 85 ff incl. Frühstück. Ich hatte befürchtet, wegen der Tour seien alle unterkünfte ausgebucht. Aber in diesem haus haben tagsüber die roadies der Tour geschlafen, die jetzt am abend die gesamte technik, die tribünen, absperrungen und was sonst noch notwendig ist bei einer Tour-ankunft, zum nächsten etappenziel bringen.

Der portier in dem haus ist sehr hilfsbereit. Mein rad kann ich in die kellergarage bringen. Dort treffe ich zwei australier, die per rennrad der profi-Tour de France voraus fahren. Sie radeln täglich die gleiche stecke wie die profis, brauchen aber etwas mehr zeit als diese. Deshalb legen die beiden morgens früh los, kommen abends spät an und sehen von der Tour nur etwas im fernsehen. Der jüngere m.e. weniger erfahrene radler fährt ein neues alu-rad einer mir unbekannten marke mit Dura ace-gruppe, der andere ein verchromtes stahlross ebenfalls mit shimano teilen, aber noch mit rahmen-schalthebeln und veralteten bremsen. Aber beide sind anscheinend gut drauf. Zumindest behaupten sie, das mannschafts-zeitfahren zu zweit schneller absolviert zu haben als die beiden langsamsten profiteams und im ersten einzelzeitfahren wären sie 148 bzw. 155 geworden. An gepäck haben sie je einen 20 l rucksack mit. Als sie mein rad heben, schütteln sie den kopf und meinen, damit könne man nicht voran kommen. Über 130 km pro tag und schnitt 20 km/h lächeln sie nur. Allerdings gibt der jüngere der beiden zu, dass sie schon sehr wenig kleidung mit haben für drei wochen und dass der rucksack ihn trotzdem noch stört, vor allem beim klettern. Ich glaube, er würde gerne langsamer fahren. Aber der andere scheint  ein besessener zu sein. Er ist älter, hagerer und muskulöser, spricht französisch und hat die gleiche strapaze vor sechs jahren schon mal gemacht. Aber alleine. Der dürre kaum zu verstehende aussi gibt auch den ton an und ist ziemlich von sich eingenommen, wenn er seinem kumpel, der anscheinend Frankreich nicht kennt, von den hohen bergen und den schweren anstiegen in den Pyrenäen und Alpen erzählt. Mit mir spricht er eigentlich gar nicht. Über manche profis zieht er her, als ob er sie persönlich kenne, aber für Museeuw scheint er zu schwärmen. Welch ein kenner der profiszene er ist, wird spätestens bei seiner einschätzung von Armstrongs leistungsfähigkeit klar: „No chance!“ sagt er nur, als ich ihn frage, ob der Amerikaner die Tour noch einmal gewinnen könne.

Nach einer kalten dusche auf dem etagenflur, entdecke ich im spiegel, dass die rötung um meine nase und auf der oberlippe noch viel schlimmer geworden ist. Ich habe doch nicht daran gedacht, sie heute tagsüber einzucremen. In einem einfachen restaurant esse ich ein sog. ‚menu rapide‘ mit vor- und nachspeisen vom buffet. Dazu zwei bier und ich bin satt.

Beim abendessen spüre ich deutlich, dass die taubheit in der rechten Hand nachgelassen hat. Beim schneiden mit dem messer und auch später beim schreiben ist die hand wieder viel beweglicher und vor allem gefühliger. Die gepolsterten innenflächen der radhandschue scheinen eine wesentlich stärkere dämpfung zu bieten als der schaumstoff unter dem  lenker-tape. Dennoch kribbeln ringfinger und kleiner finger der rechten hand so, als ob ameisen darin herum krabbelten, als sie abends unter der bettdecke warm werden. Na ja, ich deute es als gutes zeichen für die verbesserung der durchblutung und  schlafe bald ein.