ÜBER GLÜCKLICH

Aqaba, 18 – 11 – 08

Nach der wüstentour lässt mir die sorge um mein hinterrad keine ruhe. Auf der überdachten terasse des ‚Resthouse‘ nehme ich das hinterrad auseinander. Von den kugeln auf der ritzelseite kommen mir schon welche entgegegen. Die lagerschale ist an einer zweiten stelle aufgeplatzt. Das gewinde des freilaufkörpers, mit dem er am nabenkörper angeschraubt ist, ist defekt. Den body kann ich ohne werkzeug weg nehmen. Von den kleinen kugeln des freilauflagers fehlt auch schon etwa ein drittel. Die provisorisch eingebaute vollachse, kann ich gar nicht mehr verwenden. Aber auch auf der XT-achse steckt der freilauf nur noch lose auf. Trotzdem baue ich das rad ein. Ich kann mit ganz kleiner übersetzung vorsichtig ohne druck fahren, darf aber nicht aufhören zu treten.

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Während ich noch am rad werkele, fragt ein spanisches biker pärchen, ob es mir helfen kann. Rut (ohne h) und Elli – sehr sportliche feuerwehrleute aus Navarra – sind von Amman über die Königsstraße ins Wadi geradelt. Vorgestern haben sie auch die 110 km von Petra hierher an einem tag geschafft.

Als sie das ausmass meins raddefekts erkennen, bieten sie an, morgen mit ihnen auf einem jeep durch die wüste nach Aqaba zu fahren. Sie wollten dieses teilstück ursprünglich radeln. Die umöglichkeit dieses unterfangens mit beladenen rädern haben sie schweren herzens akzeptiert, nachdem sie die tiefe des sandes bei einer wanderung erfahren haben.

Jordi, ein spanischer reisejournalist, der zu fuß vier wochen in Jordanien unterwegs ist, hat sich auch schon für den jeep-transport angemeldet. Mit mir wären alle plätze besetzt. Dann müsste jeder nur 25 JD zahlen. Für mich ist das die möglichkeit hier weg zu kommen.

Beim abendessen macht mir das liebenswürdige paar ein unglaubliches zweites angebot. Da sie nicht glauben, dass ich in Aqaba irgendeine reparaturmöglichkeit finde, wollen sie mir ein hinterrad von ihnen geben. Sie sind ohnehin am ende ihrer tour angekommen. Wollen nur in Aqaba noch zwei tage tauchen. Danach fahren sie mit dem bus zum flughafen, fliegen nach Madrid und werden dort von freunden abgeholt.

Mit offenem mund höre ich ihren vorschlag. Jordi – der stets sprüche klopfende schreiberling – meint, ich könne den mund ruhig schließen. Spanier wären wirklich hilfsbereit, auch wenn ich so viel von arabischer hilfsbereitschaft schwärme.

Nach einer kurzen bedenkzeit, schlage ich den beiden vor, dass ich morgen in Aqaba trotz der voraussichtlich schlechten aussichten noch  versuche, das rad reparieren zu lassen. Sollte es mir nicht gelingen, würde ich sie in Ihrem tauch-revier aufsuchen und dann mit ihnen überlegen, wie wir das mit dem radtausch regeln.

Da bietet diese reise mir wieder eine chance, mich weiter zu entwickeln. Hilfe annehmen! Das fällt mir immer schwer, wenn ich nichts zurück geben oder -tun kann. Einfach von anderen etwas annehmen, ohne sich in einer schuld zu fühlen. Aber ich denke sofort an bezahlen, was dafür zurück geben. Deshalb kann ich auch noch nicht uneingeschränkt ja sagen zu dem tauschangebot. Wie immer halte ich mir wieder eine tür offen. Aber zumindest habe ich  zugesagt, dass ich auf ihr angebot zurück komme.

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Der trip mit den rädern hinten auf dem offen jeep ist ein riesenspaß: Die wüste bleibt über die 50 km genauso schön wie im Wadi Rum. Jordi hat immer einen lockeren spruch auf lager. Und unser beduinen-fahrer hat auch die ein oder andere überraschung eingebaut. Erster stopp: die beifahrertür hält nicht. Er nimmt einen verrosteten draht. Zweiter halt: wir tanken. Kanister mit benzin – nur verschlossen mit einer plastikfolie und einem gummi – holt er unter unserer sitzbank hervor und füllt per schlauch kurz 20 liter nach. Als drittes springt ihm der motor aus, nachdem er einer abenteuerlich tiefe senke durchquert hat. Motorhaube auf. Wir gucken alle gespannt zu. Er fummelt kurz an der zündung, setzt sich wieder ans steuer und prompt startet der Toyota wieder. Er kennt halt sein gefährt.

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Nach zweieinhalb stunden erreichen wir die asphaltierte straße.  Nach weiteren 15 km entlädt er uns und unsere bikes im zentrum von Aqaba, Jordaniens einziger hefenstadt. Jordi nimmt gleich ein hotel. Er fährt morgen zum flughafen. Schade, dass ich kein spanisch kann. Seinen reisebericht würde ich gerne lesen. Rut und Elli fahren zum ‚Beduin Garden Village‘, 12 km südlich der stadt zum tauchen.

Im touri-restaurant ‚Ali baba‘ trinke ich einen kaffee und frage nach einem bike-shop. Tatsächlich kann ein ober mir den weg beschreiben. Der laden verkauft aber nur neue kinder- und jugendräder. Doch die inhaberin zeigt mir etwa 500 m weiter einen kleinen laden, in dem Massouhi, ein noch recht junger mechaniker, räder repariert. An seinem ersatzteillager und am durcheinander in seiner werkstatt sehe ich, dass er viel repariert. Aber er führt halt die gleiche billigware aus China wie all die anderen läden auch, die ich inzwischen in den verschiedenen ländern und städten gesehen habe.

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Doch hinter der ladentheke steht meine rettung: Ein gebrauchtes hinterrad: schwarze Deore-9-fach-nabe, zwar mit vollachse, aber 36 loch, schwarze Mavic-felge und schwarzen speichen, von denen eine gerissen ist. Ein rad dieser qualität habe ich seit Thessaloniki nicht mehr in einem laden gesehen. Anscheinend ein reparatur-auftrag.

Massouhi spricht kein englisch. Ich nehme mein rad raus und zeige ihm den schaden. Schnell hat er verstanden, dass ich die Deore-nabe gerne in mein rad eingespeicht hätte. 35 JD schreibt er mir auf einen zettel. Ich bin perplex. Kann er das kundenrad einfach zerlegen? Mit welcher nabe wird er das rad wieder aufbauen? Mir soll es egal sein. Ich frage nicht, kontrolliere nur den zustand der gebrauchten nabe. Sie wurde schon länger gefahren. Die lager zeigen gebrauchs-spuren, aber keine schäden. Ohnehin hab ich keine wahl. Ich handele ihn runter auf 30 JD und helfe ihm dann beim ausspeichen. Er arbeitet viel flinker als ich. Man sieht, dass er schon viele räder eingespeicht hat. Mit einem nippelspanner auf der ladentreppe, ohne groß hinzugucken macht er in einer guten stunde mein hinterrad wieder fertig. Mit einer distanzhülse und muttern stellt er es mittig in die hintere gabel. Im rahmen richtet er das rad, kontrolliert die funktion der bremse und die schaltung. Überglücklich zahle ich.

Mein rad läuft wieder! In Aqaba/Jordanien – dem land ohne zweiräder – hab ich eine neue nabe bekommen! Rut und Elli könne es auch kaum glauben,als ich um halb vier zu ihnen ins Garden Village komme. Sie freuen sich riesig mit mir. Mein Gott, was habe ich für schutzengel! Rut lächelt, als sie mich vor glück strahlen sieht: „Angel de la guarda!“, sagt sie und breitet ihre arme aus.

Bevor die sonne ganz unter geht, lauf ich noch schnell über die straße ans Rote Meer. Kaum jemand ist hier an dem windigen kahlen strand heute abend. Ich kann in aller stille, aber völlig aufgewühlt danke sagen für das, was ich heute wieder erlebt habe. 6500 km bin ich jetzt unterwegs. Und immer wenn ich denke, jetzt geht nichts mehr, ist die hilfe schon da.

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