VERSCHOBEN

Meiner leber sind das einfach zu viele impfungen in zu kurzer zeit gewesen. Eine woche vor der geplanten abreise werde ich so krank, wie noch nie zuvor: Hohes fieber, gliederschmerzen, völlig schlapp, prall gefüllter bauch, null appetit. Vier tage kann ich nur wasser trinken. Innerhalb einer woche nehme ich vier kg ab.

Nach anfänglicher ratlosigkeit, aber erfolgreicher antibiotikum-kur, bin ich fast wieder oben auf. Tägliche blutuntersuchungen zeigen nach dem vierten tag einen viel besseren entzündungswert und dann auch wieder normale leberwerte.

Doch die ärztin rät mir, die abreise mindestens um eine woche zur verschieben.  Meine stimmung – ohnehin schon dadurch getrübt, dass in den tagen vor der erkrankung mieses regenwetter herrscht, sinkt gegen null. Ich kann kaum einmal den „Nabakula° testen. Handy, pc, sd-karten-lesegerät, wasserfilter, kocher und kamera habe ich auch nicht ausprobiert. Nicht mal eine nacht schlaf ich im neuen zelt. Dazu die schwierigkeiten mit dem visum für Syrien. Medikamente fehlen noch. Die schwierigste aller aufgaben bleibt bisher auch unbearbeitet: gepäck/gewicht reduzieren. 40,2 kg ist einfach unmöglich. Aber was soll ich da lassen?

Also verschieben: Neuer abreisetermin: sonntag, 27. 07. Ich bin glücklich mit diesem aufschub und der gewonnenen zeit zur vorbereitung der abreise. Rasch geht es mir besser. Allerdings fehlt noch die dritte schutzimpung gegen tollwut. Ich habe schiss vor einer neuen erkrankung. Doch die ärztin überzeugt mich, dass ich vor der letzten spritze nicht kneifen sollte, weil ich dann trotz der erkrankung überhaupt keinen schutz hätte.

Zuletzt – noch freitags vor der abreise – der den mietern in Tüddern schon lange versprochene zaun. Welch ein glück, dass ich mich in solchen notsituationen auf Herbert verlassen kann: Selbst an seinem geburtstag malocht er mit mir fünf stunden bei schwülem wetter, bis die zaunpfähle in dem harten boden endlich in reih und glied  einbetoniert sind. Als dann auch noch freund Men trotz seines bandscheibenvorfalls mithilft, können wir alle am nachmittag an Herberts kaffeetafel entspannt zusammen sitzen und abschied nehmen.

Samstag morgen nochmal umpacken und neu wiegen. Immer noch 40 kg. Gottes segen kann da nur noch helfen. Im kloster Maria Lind lasse ich mich segnen von dem dortigen pater Alexander. Eine kurze zeremonie im klostereingang, die mich dennoch sehr bewegt, weil der geistliche sehr gezielt Gottes beistand für die auf der reise möglicherweise auftretenden gefahren und nöte erbittet.

Tags zuvor steht der bericht über meine radreise in der zeitung. Schon rufen familie und bekannte an: Bisse schon weg? Wann geht’s los? Sehen wir dich nochmal? Thomas und Katharina fragen mehrfach an, wann ich denn jetzt los fahre und ob sie mich in Bonn noch treffen werden. Marcel und Ingrid kommen frisch aus dem urlaub am samstag nachmittag vorbei.

Und am abend ganz spontan und sehr lieb: Irmgard und Gerd mit einer guten flasche schampus. Ich – in mitten meiner ganzen packtaschen – lasse alles auf dem wohnzimmerteppich liegen. Wir trinken, erzählen und lachen, als ob gar keine reise anstünde. Schließlich bringt ein pizzaservice uns noch leckere „pappteller“. Gerd haut wieder einen scherz nach dem andern raus. Unbeschwerter hätte der letzte abend nicht ablaufen können, Elvira und ich sind den beiden dankbar für ihre herzliche, amüsante abschiedsidee.

Sonntag – abreise tag. Noch immer das gefühl, nichts ist wirklich fertig! Dass ich mich nicht mehr von Lucy und Jo verabschiedet habe, liegt mir schwer im magen. Auch zu den gräbern meiner eltern will ich nochmal.

Dem Velo-Club habe ich frech weg gesagt, ich hätte lieber, wenn sie mich nicht eskortierten. Helmut akzeptiert das sofort.

Sara ruft schon samstags an, wann sie denn mit mir rechnen könne in Köln. Sie will mit mir am Rhein mit einem Kölsch auf gutes gelingen anstoßen. Spätestens halb zwei, hab ich ihr gesagt. Zu Katharina hab ich halb vier in Bonn gesagt.

Aber beides kann ich gar nicht schaffen. Ich bin einfach nicht fertig. Wieder einmal hat Elvira die lösung: Nochmal um einen tag verschieben. Sie telefoniert mit den Köhlers und mit Sara – beide haben volles verständnis. Nach Havert zum friedhof und zu Jo und Lucy fahre ich dann um die mittagszeit. Jo fragt wieder sehr interessiert aber auch besorgt nach. Lucy überrascht mich mit einem goldenen kreuz, das sie von meiner mutter erhalten hat .“Aber versprich mir, dass du es mir wieder bringst!“ verlangt sie. Tief berührt und Imagemit nassen augen fahre ich los.

Das schwer bepackte rad läuft überraschend gut. Doch jeder anstieg ist eine echte herausforderung. Ich weiß schon, seit ich es gewogen habe (40,2 kg), das ist einfach zu viel gepäck. Jetzt spüre ich es auch. Jetzt macht es mich mutlos, weil ich ohnehin voller zweifel bin.

Dennoch bin ich um 13.00 Uhr bei Sara in Ehrenfeld. Ich klingele bei ihr. Sie kommt sofort runter. Schon in der haustür bei unserer begrüßung heule ich wieder los. Sara drückt mich lange. Wir radeln los zum Cafe Goldmund. Beim essen habe ich nicht viel zu erzählen. Sara spürt genau, dass ich nicht glücklich bin. Unter tränen fordert sie mich schließlich einfach auf: „Jetzt freu dich doch, dass dein traum endlich in erfüllung geht.“ Ich kann mich überhaupt nicht freuen. Ich denke auch,  dass ich so undankbar nicht sein darf. Wer hat schon die chance, seinen traum zu leben. Aber jetzt fühl ich nur: Ist diese reise das alles wert? Weil ich so sehr weinen muss, bleiben mir die worte im hals stecken. Den salat kriege ich aber dennoch runter mit einer erfrischenden rhabarberschorle.

Für ein paar bilder vom abschied von Kölle radeln wir auf die Severinsbrücke. Dort umarmen wir uns. Wir können beide wieder das weinen nicht unterdrücken. So schwer fiel mir abschied noch nie. Wir rollen die brücke neben einander runter, sie stadteinwärts geradeaus und ich runter zum Rhein. Ich höre, dass sie noch was ruft, aber ich versteh
e es nicht wegen des verkehrslärms. Tränenbahnen wische ich nicht mehr ab. Der fahrtwind trocknet sie rasch. Mir fällt eine BAP-zeile ein: „Helfe kann dir keener“. Scheiß-selbstmitleid! Der schmerz fährt aber noch lange mit.

Am Rhein entlang radel ich bis Sürth. Viele kinder baden im fluss bei dem schönen wetter. Ich telefoniere mit Thomas und wir verabreden uns auf seiner baustelle in Dersdorf. Katharina arbeitet mit ihm dort. Beide freuen sich, mich nochmal zu sehen. Wir machen fotos und ich stärke mich mit zwei dick belegten brötchen und tomaten, die sie für mich besorgt haben.

Dabei diskutieren wir über meine besorgnis vor der reise, meine ängste auf der reise und meinen abschiedsschmerz der letzten tage vor der abreise.

Schließlich geb ich mir einen ruck und fahre rasch los, wieder ohne umgucken. Muss wohl an dem schweren rad liegen. Ich fahre über Bonn wieder an den Rhein bis Mehlem, wo ich auf einem campinglatz übernachte, auf dem ich schon mal vor 42 Jahren gezeltet habe.