VOR WÜRFE

Jerash, 08-11-2008

Auf Jordanien freue ich mich riesig: durchs Jordantal und die Königsstraße radeln, im  Toten Meer schwimmen, Petra – die farbige felsenstadt, die rosa wüste im Wadi Rum und dann das Rote Meer bei Aqaba. Doch der ton des ersten fast jugendlichen wachpostens an der grenze ist mehr als unfreundlich: No! Go! Go!, schreit er mich an, als ich ihn frage, die jordanische fahne und das landesschild fotografieren zu dürfen.

In Al Ramtha – dem ersten jordanischen städtchen – bewerfen mich zum ersten aber längst nicht zum letzten mal schüler mit steinen. Einer trifft mein Vorderrad. Ich hatte darüber gelesen, bin aber doch schockiert. Nach der gastfreundlichkeit in all den ländern jetzt diese flegeleien. Es sind natürlich nur jungs, die werfen. Sie sehen mich kommen, rennen an den straßenrand, laufen neben mir her, möchten dass ich anhalte, betteln um geld. Ich grüße freundlich, fahre aber weiter. Dann nehmen sie steine und werfen – gezielt. Drei sind besonders dreist: Im jordantal stößt ein etwa 13jähriger lümmel mit aller kraft gegen meinen gepäcksack, so dass ich das gleichgewicht nur halten kann mit einem gefährlichen schlenker in die straßenmitte. In einem bergdorf vor Ajlun schlägt mich ein höchstens achtjähriger grinsend mit einem längeren Stock auf mein rechtes bein.

In Jerash winkt ein etwas pummeliger 12jähriger mir ganz freundlich zu. Er fragt nach meinem namen. Ich antworte. Dann läuft er neben mir her, tritt gegen meine hintere rechte radtasche und zischt: Fuck you!

Bisher habe ich mit vier erwachsenen darüber gesprochen: Ein soldat am checkpoint vor der Hussein-brücke nach Palästina meinte nur lächelnd, das seien halt kinder. Der wirt eines cafés in Waqqas wusste sofort, das seien zigeunerkinder, keine jordanischen. Der vermieter eines ferienappartements in Pella erklärte das verhalten mit fehlender erziehung durch die eltern. Ein deutscher student in amman, der auch beworfen wurde als radfahrer, führt es auf den ausländer-hass zurück.

Folgende ansätze können vielleicht etwas erklären:

Die kinder sind oft – wie mehr als die hälfte der jordanischen bevölkerung palästinensischer abstammung. Unter ihnen ist ein hass auf alles westliche, vor allem auf amerikanische und westeuropäische besucher weit verbreitet. Steine werfen ist eine art, seine aggressionen gegen einen vermeintlichen feind auszuleben.

In Jordanien ist nur der königlichen familie erlaubt motorrad zu fahren. Im straßenverkehr gibt es kaum ein moped, keine motorroller, schon gar keine motorräder. Ganz selten sehe ich schon mal eine vereinzeltes moped, das nie zugelassen ist, also schwarz gefahren wird und wahrscheinlich auch auf irgendeine unerlaubte art ins land gekommen ist. Das fehlen der motorisierten zweiräder führt dazu, dass es in Jordanien auch kaum fahrräder im verkehr gibt. Nur ganz wenige jordanische kinder fahren rad. Radfahren, das macht keiner in Jordanien.

Einerseits könnte sich durch dieses verbot neid auf radfahrer entwickelt haben. Wenn ich anhalte, drängeln sich kinder, jugendliche und auch erwachsene nicht so sehr um mich als vielmehr um mein rad. Sie schauen es sich oft sehr interessiert an, fragen auch nach, was wozu dient, wieviel es kostet.

Andererseits haben radfahrer anscheinend einen ganz geringen status in der jordanischen verkehrswelt. Hier zählen nur Mercedes, BMW, ps-starke, laute motoren und durchdrehende reifen. Radler sind fremdartig. eher sonderlinge, spinner. Die kann man mit steinen bewerfen, vor allem wenn sie auch noch aus dem westen kommen.

Kein einziges mal sehe ich, dass ein steinwerfer von anderen kritisiert oder gar daran gehindert wird. Im gegenteil, die anderen lachen und vielfach werfen sie mit. Diese unfreundlichen begegnungen machen mich besorgt. Wenn schulschluss ist, mache ich meist eine halbe stunde pause, weil ich den schülern auf ihrem heimweg nicht begegnen möchte. Fahre ich in einen ort und sehe eine jungengruppe, versuche ich möglichst unbemerkt oder zumindest rasch vorbei zu kommen. Im anstieg habe ich keine chance zu entkommen. Ich bin einfach zu langsam. Aber dann haben manche auch mitleid mit mir. wie die beiden in Kufr Rakib. Die straße ist hier sehr steil. Ich fahr gerade mal 5 km/h. Die beiden gehen fast einen km neben mir her, um mir den laden zu zeigen, in dem ich auch am freitag wasser kaufen kann. Amüsante Bemerkung eines der beiden, der gut englisch spricht, nachdem er mich gefragt hat, wie alt ich sei: Mein großvater ist achtundfünfzig. Der sitzt den ganzen tag vor dem fernseher.